Täglich erhalten 104 Österreicher und Österreicherinnen die Diagnose „Krebs“. Innsbrucker Forscher entwickeln ein Computerprogramm zur Verbesserung der Kommunikation zwischen Kranken und Ärzten.
Software verbessert Kommunikatiion zwischen Arzt und Patient
Wie fühlen sich Patienten mit einer Krebsdiagnose? Wie schätzen sie selbst ihren Gesundheitszustand ein? Um diese Fragen zu beantworten, entwickeln Forscher der Medizinischen Universität Innsbruck gemeinsam mit einer IT-Firma eine europaweit innovative Software.
„Mit diesem Computerprogramm wollen wir die Kommunikation zwischen Patient und Arzt, damit in weiterer Folge die Lebensqualität Krebskranker verbessern“, betonen Univ.-Doz. Dr. Bernhard Holzner und Univ-Prof.in Dr.in Barbara Sperner-Unterweger in einer Presseaussendung.
Wertvolle Lebenszeit
„Lebenszeit ist äußerst wertvoll und begrenzt. Mit dieser Tatsache sind Krebskranke besonders konfrontiert. Auch wir als Experten sind gefordert, wollen wir doch trotz der im klinischen Alltag manchmal knappen Zeit die optimale Behandlung sowie die bestmögliche Lebensqualität für Betroffene erreichen. Zur personalisierten Therapie chronischer Erkrankungen wie Krebs gehört auch die zielgerichtete und auf den jeweiligen Kranken individuell abgestimmte Kommunikation. Unser Computerprogramm leistet dazu einen Beitrag“, erklärt Holzner.
Der Forscher beschäftigt sich an der Innsbrucker Universitätsklinik für Biologische Psychiatrie unter Leitung von Univ.-Prof. Dr. W. Wolfgang Fleischhacker seit über zwei Jahrzehnten damit, der subjektiven Sicht von Krebspatienten im Laufe ihrer Behandlung mehr Gewicht zu geben.
Lebensqualitätsdaten zur Optimierung der Krebsbehandlung
Die Entwicklung des computer-adaptiven Fragebogens zur Erfassung der Lebensqualität wird vom österreichischen Forschungsfonds FWF gefördert.
Dieses Instrument hilft routinemäßig unterschiedliche Belastungen und Probleme von Krebspatienten zu erheben. Betroffene können den Fragebogen an einem Tablet-PC ausfüllen. Die daraus gewonnenen Informationen werden den Ärzten unmittelbar zur Verfügung gestellt.
In diese bis 2017 laufende Studie werden über 500 Patienten an der Innsbrucker Klinik im Alter zwischen 18 und 80 Jahren mit unterschiedlichen Krebsdiagnosen sowie verschiedenen Behandlungs- bzw. Erkrankungsphasen eingebunden.
Selbsteinschätzunbg
„Diese Selbsteinschätzungen mittels der Fragebögen sind für uns wertvolles Wissen. Wir können Patientengespräche zielgerichteter und damit wirkungsvoller gestalten. Das gesamte Team kann so die Therapie jeweils individuell anpassen.
Selbstverständlich werden im gesamten Prozedere strenge Datenschutzrichtlinien eingehalten“, sagt der Forscher. Als weiteren Beitrag zur besseren Identifikation körperlicher und seelischer Symptome arbeitet der Nachwuchsforscher Dr. Johannes Giesinger (33) an der Innsbrucker Universitätsklinik für Biologische Psychiatrie sowie am Netherlands Cancer Institute in Amsterdam an der Festlegung so genannter „Schwellenwerte“ für körperliche und seelische Beeinträchtigungen.
Subjektive Belastung
Klinisch relevante Beeinträchtigungen, wie z.B. der körperlichen Leistungsfähigkeit, Schmerzen oder Erschöpfung, sollen durch diese Daten besser erkenn- und behandelbar werden. Die Festlegung dieser Schwellenwerte basiert nicht nur auf dem Schweregrad der Erkrankung.
Sie fußt auch darauf, wie sich ein Symptom auf den Alltag und die subjektive Belastung Betroffener auswirkt. Giesingers Arbeiten sind eng mit der Entwicklung computer-adaptiver Lebensqualitätsfragebögen verknüpft. Sie werden vom FWF im Rahmen eines Erwin-Schrödinger-Fellowships finanziert. Beide Projekte laufen in intensiver Zusammenarbeit mit der „European Organisation for Research and Treatment of Cancer (EORTC)“.
PROs – Patient-reported Outcomes
Messinstrumente zur Erfassung von Selbststeinschätzungen chronisch Kranker nennt die Medizin „Patient-reported Outcomes“, kurz „PROs“. Bislang wurden PRO- Fragebögen gemäß klassischer Testtheorie entwickelt. Das heißt, die Interpretierbarkeit der gewonnenen Daten beruht darauf, dass alle Patienten die gleichen Fragen beantworten.
„Dies geht mit einer Reihe von Nachteilen bezüglich Patientenbelastung und Messgenauigkeit einher“, erklärt Holzner. Der in Innsbruck mitentwickelte computer-adaptive Fragebogen für Lebensqualität verwendet individuell auf den jeweiligen Patienten zugeschnittene Fragen. Basierend auf den jeweiligen Antworten wird die sinnvollste nächste Frage ausgewählt. Dies erhöht die Messgenauigkeit und verringert die Gesamtzahl der manchmal belastenden Fragen an mitunter schwer kranke Menschen.
Quality of Life Group der EORTC
Das Innsbrucker Team ist Mitglied der „Quality of Life Group“ der EORTC und untersucht im Detail die Messgenauigkeit dieser Tests. „Wir wollen feststellen, ob sich die neu entwickelten Fragebögen dazu eignen, auch geringe Änderungen im Gesundheitszustand abzubilden“, betont Holzner.
Weiters zielt dieses Projekt darauf ab, die anonymisierten Resultate mit Normdaten der österreichischen Bevölkerung abzugleichen. Die gesamte Forschung in diesem Bereich will laut den Forschern einzelnen Patienten eine Stimme geben und ein angemesseneres Bild von Krebserkrankungen und deren Behandlung ermöglichen. Außerdem wollen die Wissenschaftler zu verbesserten Grundlagen für gesundheitspolitische Entscheidungen beitragen.
Lebensqualitätsforschung in der Onkologie
In der Onkologie werden seit den frühen 1990er Jahren neben so genannten „harten Daten“, wie medizinischen Befunden, auch Selbsteinschätzungen der Patienten bezüglich ihres Gesundheitszustandes zur Behandlungsplanung eingesetzt. Durch den medizinischen Fortschritt ist bei einigen Krebsarten die Überlebensrate mittlerweile recht hoch. Betroffene leben mitunter lange Jahre mit ihrer Erkrankung, aber teilweise mit einer Reihe von Einschränkungen.
Die relativ junge Fachdisziplin der „Lebensqualitätsforschung in der Onkologie“ untersucht, wie es diesen Menschen während ihrer Behandlung, aber auch auf lange Sicht geht.
In diesem Feld leistet die Innsbrucker Universitätsklinik für Biologische Psychiatrie seit über 20 Jahren Pionierarbeit.
Die Gruppe entwickelt nicht nur computer-adaptive Tests, sondern auch internetbasierte Patienten-Portale, die z.B. die Erhebung des Gesundheitszustandes über den Krankenhausaufenthalt hinaus ermöglichen. Diese praxisorientierte Forschung führte zur Ausgründung des Unternehmens „Evaluation Software Development“ (ESD) mit Sitz in Rum bei Innsbruck. Software dieses Spin-off wird derzeit in der medizinischen Praxis sowie in der Forschung in Österreich, Großbritannien, Italien, Deutschland und der Schweiz eingesetzt.
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