Long-COVID: Biomarker bestätigen sich nicht

Politik & Forschung

Etwa 0,5% aller Menschen entwickeln nach einer SARS-CoV-2-Infektion über Monate anhaltende Beschwerden. Dieser Zustand wird als Long-COVID oder Post-COVID bezeichnet.

Solche Patienten zu erkennen, gestaltet sich für die behandelnden Mediziner oft schwierig, da die Symptome vielgestaltig sind und von psychischen Faktoren beeinflusst werden. Daher sucht die Wissenschaft intensiv nach sogenannten Biomarkern, also bestimmten Laborwerten im Blut der Betroffenen, die die Diagnose Long-COVID zweifelsfrei bestätigen.

Long-COVID ist ein noch unverstandenes Phänomen

Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Erkrankung mit bis zu 200 unterschiedlichen Symptomen einhergehen kann, etwa einer ausgeprägten Müdigkeit (Fatigue), Konzentrationsstörungen oder starken Schmerzen.

Trotzdem sind die Untersuchungsbefunde meistens völlig normal. Daher setzt die Wissenschaft große Hoffnung in die Entdeckung von Biomarkern, mit deren Hilfe es gelingen soll, Menschen mit Long-COVID eindeutig zu identifizieren.

Neuere wissenschaftliche Veröffentlichungen berichteten, dass insbesondere das Aktivitätshormon Cortisol und bestimmte Entzündungsbotenstoffe im Blut, sogenannte Zytokine, geeignete Biomarker bei Long-COVID sein könnten.

Laut diesen Studien ist die Konzentration von Cortisol im Blut Long-COVID Betroffener deutlich niedriger als bei Gesunden, die Menge an entzündungsfördernden Zytokinen ist dagegen erhöht.

Die Messung solcher Blutwerte hätte es den behandelnden Ärzte zukünftig möglich gemacht, die Diagnose Long-COVID rasch und sicher zu stellen. Diese hoffnungsvollen Ergebnisse konnte ein Forschungsteam des Universitätsklinikums Essen in einer aktuellen Studie nun nicht bestätigen.

Weshalb sind Biomarker gerade bei Long Covid Patienten so wichtig?

Biomarker sind bei Long-COVID-Patienten besonders wichtig, da sie dabei helfen können, die Erkrankung zu diagnostizieren, den Krankheitsverlauf zu überwachen und potenzielle Behandlungsansätze zu entwickeln.

Verschiedene Studien haben bisher gezeigt, dass Long-COVID-Patienten spezifische Veränderungen in Immun- und Hormonfunktion aufweisen, die sich von denen bei Patienten ohne diese Erkrankung unterscheiden.

Die Identifizierung von Biomarkern, die diese Unterschiede widerspiegeln, könnte Ärzten also effektiv dabei helfen, Long-COVID-Patienten genauer zu diagnostizieren und individuellere Behandlungsansätze zu entwickeln.

Darüber hinaus könnten Biomarker auch dazu beitragen, den Erfolg von Behandlungen zu überwachen und langfristige Auswirkungen der Erkrankung zu erfassen. Insgesamt könnten Biomarker also dazu beitragen, die Versorgung von Long-COVID-Patienten zu verbessern, indem sie präzisere Diagnosen und personalisierte Behandlungsstrategien ermöglichen.

Die wichtigsten Faktoren, warum Biomarker speziell bei Long-Covid-Patienten von Bedeutung sind auf einen Blick:

1. Diagnose
2. Verlaufskontrolle
3. Identifizierung von Risikogruppen
4. Entwicklung von Therapien
5. Allgemeiner Erkenntnisgewinn über die Mechanismen der Erkrankung

Cortisol & Co. – enttäuschte Erwartungen

Vielversprechende Biomarkerkandidaten bei Menschen mit Long COVID, wie Cortisol und bestimmte Zytokine sind nach jüngsten Ergebnissen einer aktuellen Studie keine Stütze bei der Diagnose von Long COVID.

Forschende des Universitätsklinikums Essen und der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen mussten die Hoffnung auf den schnellen Einsatz einiger solcher Biomarker nun dämpfen.

Die Wissenschaftler:innen bestimmten die Blutwerte von Cortisol und der Zytokine TNFalpha, Interleukin-1beta und Interleukin-6 in vier verschiedenen Gruppen an insgesamt 130 Teilnehmenden: Menschen, die nie eine SARS-CoV-2-Infektion gehabt hatten; Menschen, die eine SARS-CoV-2-Infektion durchgemacht hatten, aber kein Long-COVID entwickelten; Menschen, die Long-COVID hatten, aber wieder vollständig davon genesen waren und Menschen mit anhaltendem Long-COVID.

Die Ergebnisse, die in der aktuellen Ausgabe von „Therapeutic Advances in Neurological Disorders“ erschienen sind, waren überraschend – alle gemessenen Werte lagen im Normbereich, und es gab keinerlei Unterschiede zwischen den genannten Gruppen.

„Leider konnten wir nicht bestätigen, dass Cortisol und einige der wichtigsten Entzündungsbotenstoffe alltagstaugliche Biomarker bei Menschen mit Long-COVID sind. Diese Nachricht ist für die Betroffenen sicher enttäuschend, passt allerdings zu unseren früheren Untersuchungen, dass es sich bei Long-COVID nicht um eine körperliche Erkrankung im engeren Sinne handelt, sondern die Psyche eine große Rolle spielt“, fasst Prof. Christoph Kleinschnitz, Direktor der Klinik für Neurologie und federführender Autor der Studie, zusammen.

„Die Ergebnisse zeigen das Dilemma der medizinischen Forschung: Während es wichtig ist, Studienergebnisse anderen Forschenden zugänglich zu machen, stehen auf der anderen Seite Patienten, bei denen unter Umständen zu große Hoffnungen auf Diagnose- oder Therapiemöglichkeiten geweckt werden“, erklärt Dr. Michael Fleischer, Facharzt für Neurologie am UK Essen.

Dennoch sei es sinnvoll, bei Long-COVID auch zukünftig nach Faktoren zu suchen, die die Erkrankung begünstigen. „Hier werden wir uns insbesondere auf den psychischen Bereich konzentrieren, da erste Therapiestudien nahelegen, dass viele Long-COVID Betroffene gut von einer Psychotherapie profitieren“, so Prof. Kleinschnitz.

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Quellen:

¹ Cytokines (IL1β, IL6, TNFα) and serum cortisol levels may not constitute reliable biomarkers to identify individuals with post-acute sequelae of COVID-19 [Fleischer M. et al. in Therapeutic Advances in Neurological Disorders. 2024;17]. DOI: https://doi.org/10.1177/17562864241229567
² www.deutschesgesundheitsportal.de

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