Schlafstörungen betreffen viele Menschen und können die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen. In der Suche nach Abhilfe stoßen Betroffene zunehmend auf Melatonin, ein Hormon, das in Drogerien, Apotheken und online als Einschlafhilfe in Form von Kapseln, Tropfen, Spray, Pulver oder Weichgummis erhältlich ist. Doch was steckt hinter diesem Trend?
Ist Melatonin wirklich die Lösung für Einschlafprobleme, und welche Risiken birgt der Konsum dieser Nahrungsergänzungsmittel? Dieser Artikel klärt über die Studienlage, Anwendungsgebiete und potenziellen Gefahren von Melatonin auf.
Was ist Melatonin?
Melatonin ist ein Hormon, das in der Zirbeldrüse im Gehirn produziert wird und eine zentrale Rolle in der Regulation des Schlaf-Wach-Rhythmus spielt.
Die Produktion von Melatonin wird durch den Wechsel von Licht und Dunkelheit gesteuert: Bei Dunkelheit steigt der Melatoninspiegel, was dem Körper signalisiert, dass es Zeit ist zu schlafen. Bei Tageslicht sinkt der Spiegel wieder, wodurch der Körper aufwacht.
Melatonin als Nahrungsergänzungsmittel: unbedenkliche Einschlafhilfe?
Melatoninpräparate werden als Nahrungsergänzungsmittel in verschiedenen Darreichungsformen angeboten und sollen helfen, den natürlichen Schlaf-Wach-Rhythmus zu regulieren, insbesondere bei Einschlafstörungen oder Jetlag. Die empfohlene Dosierung variiert stark, liegt aber häufig zwischen 0,5 und 5 Milligramm pro Tag.
In den letzten Jahren werden Nahrungsergänzungsmittel (NEM) mit dem Inhaltsstoff Melatonin von Herstellern als vermeintlich unbedenkliche Einschlafhilfe vermarktet. Sie sind in Drogerien, Apotheken sowie im Online-Handel in verschiedenen Darreichungsformen (Kapseln, Tropfen, Spray, Pulver oder Weichgummis) erhältlich.
Datenbank-Recherchen zeigen, dass das Produktspektrum der im Handel erhältlichen melatoninhaltigen NEM in den vergangenen Jahren zugenommen hat. Bei einem Teil der auf dem Markt erhältlichen NEM entspricht oder übersteigt die empfohlene Tagesdosis an Melatonin die übliche Dosierung zugelassener melatoninhaltiger Arzneimittel.
Nahrungsergänzungsmittel sind Lebensmittel, die dazu bestimmt sind, die allgemeine Ernährung zu ergänzen. Sie unterliegen daher im Gegensatz zu Arzneimitteln keiner Zulassungspflicht und werden somit nicht generell auf ihre Wirksamkeit, Sicherheit und Verträglichkeit hin geprüft.
Während die Einnahme von Arzneimitteln mit dem Wirkstoff Melatonin unter ärztlicher Kontrolle erfolgt, können Verbraucherinnen und Verbraucher melatoninhaltige NEM selbst ohne vorherige ärztliche Beratung bzw. ohne Rezept erwerben. Es ist davon auszugehen, dass Personen mit Ein- oder Durchschlafproblemen melatoninhaltige NEM gegebenenfalls auch langfristig unkontrolliert einnehmen.
„Melatoninhaltige Nahrungsergänzungsmittel sollten nicht unkritisch – insbesondere über einen längeren Zeitraum – eingenommen werden“, sagt Professor Andreas Hensel, Präsident des deutschen Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR). „Wer unter Schlafstörungen leidet, sollte die Ursache dafür ärztlich abklären lassen.“
Studienlage zu Melatonin
Die Forschung zu Melatonin als Schlafmittel ist umfangreich, aber die Ergebnisse sind nicht einheitlich.
Einige Studien belegen, dass Melatonin bei bestimmten Schlafstörungen, wie Schlaflosigkeit oder bei Schichtarbeitern und Menschen mit Jetlag, helfen kann. Hierbei konnte eine Verkürzung der Einschlafzeit und eine Verbesserung der Schlafqualität nachgewiesen werden.
Insgesamt zeigt eine Mehrheit der Studien, dass oral eingenommenes Melatonin zwar wirksam bei Schlafstörungen und Jetlag sein kann, allerdings müssen die geringe Bioverfügbarkeit und der schnelle Abbau bei der Dosierung berücksichtigt werden.
Andererseits gibt es auch Studien, die den Nutzen von Melatonin bei allgemeinen Einschlafproblemen in Frage stellen.
In diesen Fällen zeigte Melatonin nur geringe oder keine Effekte im Vergleich zu Placebos. Die Wirksamkeit scheint stark von individuellen Faktoren wie Alter, Geschlecht, Dosierung und der zugrunde liegenden Ursache der Schlafstörung abzuhängen.
Langfristige Auswirkungen der regelmäßigen Einnahme von Melatonin sind noch nicht ausreichend erforscht.
Potenzielle Risiken und Nebenwirkungen
Obwohl Melatonin als relativ sicher gilt, ist es nicht völlig unbedenklich. Als unerwünschte Folgen einer Melatonin-Einnahme bei gesunden Erwachsenen werden häufig ausgeprägte Tagesmüdigkeit, verringerte Aufmerksamkeit oder verlängerte Reaktionszeiten genannt. Dies kann etwa im Straßenverkehr oder bei bestimmten beruflichen Tätigkeiten das Unfallrisiko erhöhen.
Andere mögliche unerwünschte Effekte im Zusammenhang mit der Einnahme von Melatonin umfassen u. a. Kopfschmerzen, Blutdruckabfall, Reduktion der Körpertemperatur, Albträume, Kraftlosigkeit, Schwindel und Magen-Darm-Beschwerden.
Die derzeit vorhandenen Daten aus wissenschaftlichen Studien legen nahe, dass zumindest bei einigen Personengruppen weitere gesundheitliche Beeinträchtigungen hinzukommen können.
So zeigen beispielsweise Untersuchungen an Erwachsenen, dass eine einmalige Einnahme von Melatonin akut den Blutzuckerspiegel beeinflussen kann. Daraus ergibt sich die Frage, ob eine langfristige Einnahme melatoninhaltiger NEM das Risiko für Typ-2-Diabetes erhöhen könnte.
Besondere Vorsicht ist bei bestimmten Personengruppen geboten:
Kinder und Jugendliche: Da Melatonin in die hormonelle Entwicklung eingreifen könnte, wird von einer regelmäßigen Einnahme bei jungen Menschen abgeraten.
Schwangere und Stillende: Es gibt keine ausreichenden Daten über die Sicherheit von Melatonin in der Schwangerschaft und Stillzeit.
Personen mit Autoimmunerkrankungen: Melatonin kann das Immunsystem beeinflussen und sollte daher bei Autoimmunerkrankungen nur nach Rücksprache mit einem Arzt eingenommen werden.
Andere Untersuchungen an Erwachsenen zeigten bei Einnahme vergleichsweise niedriger Dosierung von Melatonin einen Einfluss auf verschiedene Hormone, etwa auf die Konzentration des Wachstumshormons GH.
Ob unter längerfristiger oraler Zufuhr von Melatonin Längenwachstumsveränderungen bei Kindern und Jugendlichen auftreten könnten, ist momentan ungewiss und erfordert weitere Untersuchungen.
Zudem ist unklar, inwiefern oral zugeführtes Melatonin einen Einfluss auf die individuelle hormonelle bzw. pubertäre Entwicklung haben könnte. Aus diesem Grund sollten Kinder und Jugendliche nach Ansicht des BfR von der unkontrollierten Einnahme melatoninhaltiger NEM ausgenommen werden.
Das Gleiche gilt für Schwangere, Stillende und Frauen mit Kinderwunsch, da das Hormon auf die Ungeborenen im Mutterleib, beziehungsweise auf die Muttermilch übergeht und Babys Melatonin nur sehr langsam abbauen können.
Das BfR empfiehlt Personen mit einem erhöhten Risiko für diese Stoffwechselerkrankung deshalb, Melatonin nur nach ärztlicher Rücksprache einzunehmen.
Wechselwirkungen mit Medikamenten
Melatonin kann mit verschiedenen Medikamenten interagieren. Dazu gehören Blutverdünner, Blutdruckmedikamente, Antidepressiva und Antiepileptika. Diese Wechselwirkungen können die Wirksamkeit der Medikamente beeinflussen oder Nebenwirkungen verstärken. Daher ist es wichtig, vor der Einnahme von Melatonin Rücksprache mit einem Arzt zu halten, insbesondere wenn bereits andere Medikamente eingenommen werden.
Fazit: Vorsicht ist geboten
Grundsätzlich ist zu beachten, dass es von Mensch zu Mensch erhebliche Unterschiede beim Abbau von oral aufgenommenem Melatonin gibt. Das hängt u. a. mit dem Lebensalter und individuellen genetischen Merkmalen zusammen.
Dadurch kann es bei einigen Personen zeit- und dosisabhängig zu überhöhten Spiegeln an Melatonin im Körper, verbunden mit einem erhöhten Risiko für das Auftreten unerwünschter gesundheitlicher Wirkungen, kommen.
Melatonin kann für bestimmte Menschen mit spezifischen Schlafstörungen eine hilfreiche Einschlafhilfe sein. Doch wie bei allen Nahrungsergänzungsmitteln sollte der Gebrauch gut überlegt sein.
Es ist ratsam, Melatonin nicht leichtfertig oder ohne ärztlichen Rat einzunehmen, insbesondere da die Langzeitwirkungen noch nicht ausreichend erforscht sind.
Für Menschen mit Schlafproblemen kann es sinnvoll sein, zunächst nicht-medikamentöse Methoden zur Schlafverbesserung zu erwägen, wie die Etablierung einer regelmäßigen Schlafroutine, die Reduzierung von Koffein- und Alkoholkonsum sowie den Einsatz von Entspannungstechniken. Sollte Melatonin dennoch in Erwägung gezogen werden, ist eine sorgfältige Abwägung der möglichen Nutzen und Risiken sowie eine ärztliche Beratung unerlässlich.
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Quellen:
¹ Melatonin: Anwendung, Wirkung, Nebenwirkung (Gelbe Liste)
² Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) ist eine wissenschaftlich unabhängige Einrichtung im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL). Es berät die Bundesregierung und die Bundesländer zu Fragen der Lebensmittel-, Chemikalien- und Produktsicherheit. Das BfR betreibt eigene Forschung zu Themen, die in engem Zusammenhang mit seinen Bewertungsaufgaben stehen.
Linktipps:
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