Eine aktuelle Studie der Medizinischen Universität Wien liefert wichtige Erkenntnisse über die langfristigen Auswirkungen einer COVID-19-Infektion auf das Immunsystem.
Die Forschungsergebnisse, die im renommierten Fachjournal „Allergy“ veröffentlicht wurden, zeigen, dass selbst milde Krankheitsverläufe zu beträchtlichen und anhaltenden Veränderungen im Immunsystem führen können.
Vermutungen durch Studie bestätigt
Die Vermutung, dass COVID-19 das Immunsystem langfristig verändern könnte, basiert auf mehreren wissenschaftlichen Beobachtungen und Studien.
Dabei geht es nicht nur um akute Immunreaktionen, sondern auch um mögliche langfristige Folgen, die bei einigen Menschen beobachtet wurden.
Das Forschungsteam um Winfried Pickl und Rudolf Valenta untersuchte die Immunparameter von 133 COVID-19-Genesenen und 98 Personen ohne Infektion. Die Analysen erfolgten zehn Wochen und zehn Monate nach der Erkrankung.
Kurzfristige Effekte: Zehn Wochen nach der Infektion zeigten die Genesenen deutliche Anzeichen einer Immunaktivierung bei T- und B-Zellen sowie ein akut-entzündliches Muster der Wachstumsfaktoren im Blut1
Langfristige Auswirkungen: Nach zehn Monaten wurde ein unerwartetes Bild sichtbar:
- Deutliche Verringerung von Immunzellen im Blut
- Abfall SARS-CoV-2-spezifischer Antikörper
- Veränderung der Wachstumsfaktormuster im Blut
Mögliche Erklärung für Long-COVID
Die Forscher vermuten, dass die langfristigen Folgen durch eine anhaltende Beeinträchtigung der Knochenmarksfunktion verursacht werden. Das Knochenmark ist die zentrale Produktionsstätte von Immunzellen.
COVID-19 kann das Immunsystem in mehrfacher Hinsicht beeinflussen – sowohl durch akute Dysregulation als auch durch langfristige Veränderungen der Immunzellfunktion, die Autoimmunität, Infektanfälligkeit und chronische Entzündungszustände fördern können.
„Unsere Ergebnisse liefern eine mögliche Erklärung dafür, dass bestimmte Langzeitfolgen von COVID-19 mit der Schädigung des zellulären Immunsystems durch SARS-CoV-2 und der offensichtlich verminderten Reifung und/oder Auswanderung der Immunzellen aus dem Knochenmark zusammenhängen könnten“, erklären die Studienleiter Pickl und Valenta.
Bedeutung der Studie: Welche Langzeitfolgen nach einer COVID-19-Infektion entstehen?
Basierend auf den Studienergebnissen der MedUni Wien könnten folgende Langzeitfolgen durch die Veränderungen des Immunsystems nach einer COVID-19-Infektion entstehen:
Beeinträchtigung der Immunfunktion
Die Studie zeigt, dass selbst nach milden Krankheitsverläufen eine deutliche Verringerung von Immunzellen im Blut festgestellt wurde.
. Dies deutet darauf hin, dass das Immunsystem von COVID-19-Genesenen möglicherweise nicht mehr optimal reagiert2
. Konkret könnte dies zu folgenden Problemen führen:
– Erhöhte Anfälligkeit für andere Infektionen
– Verzögerte oder unzureichende Immunantwort auf neue Pathogene
– Mögliche Reaktivierung latenter Viren im Körper
Veränderungen im Knochenmark
Die Forscher vermuten, dass die Langzeitfolgen durch eine anhaltende Beeinträchtigung der Funktion des Knochenmarks hervorgerufen werden1
Das Knochenmark ist die zentrale Produktionsstätte von Immunzellen.
Mögliche Konsequenzen könnten sein:
- Verminderte Produktion neuer Immunzellen
- Gestörte Reifung und/oder Auswanderung der Immunzellen aus dem Knochenmark
- Potenzielle Auswirkungen auf die Blutbildung insgesamt
Veränderungen der Wachstumsfaktoren
Die Studie beobachtete eine erstaunliche Veränderung der Wachstumsfaktormuster im Blut.
Dies könnte weitreichende Folgen haben:
- Beeinträchtigte Zellregeneration und -reparatur
- Störungen in verschiedenen Körperfunktionen, die von Wachstumsfaktoren reguliert werden
- Mögliche Auswirkungen auf Heilungsprozesse
Potenzielle Long-COVID-Symptome
Die beobachteten Veränderungen im Immunsystem könnten eine Erklärung für verschiedene Long-COVID-Symptome liefern:
– Anhaltende Müdigkeit und Erschöpfung
– Erhöhte Infektanfälligkeit
– Verzögerte Genesung von anderen Erkrankungen
– Chronische Entzündungsreaktionen im Körper
Für COVID-19-Genesene bedeuten die Ergebnisse, dass ihr Immunsystem möglicherweise nicht mehr optimal reagiert, was eine Erklärung für anhaltende Symptome nach der akuten Erkrankung sein könnte.
Fazit
Die Ergebnisse legen nahe, dass die SARS-CoV-2-Infektion nicht nur eine Atemwegserkrankung ist, sondern potenziell tiefgreifende Auswirkungen auf die Immunregulation haben kann, die noch längere Zeit nach der Infektion bestehen bleiben.
Die Studie liefert wichtige Hinweise darauf, dass COVID-19 auch bei mildem Verlauf zu langfristigen Veränderungen des Immunsystems führen kann.
Diese Erkenntnisse könnten dazu beitragen, die Mechanismen hinter Long-COVID besser zu verstehen und könnte in Zukunft zu verbesserten Behandlungsansätzen für Long-COVID-Patienten führen.
Weitere Forschung ist allerdings notwendig, um das genaue Ausmaß und die Mechanismen dieser Langzeitveränderungen vollständig zu verstehen.
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Quellen:
¹ Differential decline of SARS-CoV-2-specific antibody levels, innate and adaptive immune cells and shift of Th1/inflammatory to Th2 serum cytokine levels long after first COVID-19 [Kratzer B, Gattinger P. et al in Volume79, Issue9; September 2024; Pages 2482-2501] DOI: https://doi.org/10.1111/all.16210
² SARS-CoV-2-Infektionen verändern das Immunsystem nachhaltig [PA MedUni Wien; 07/24]
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