Da Menschen mit Migräne häufig unter einer erhöhten Lichtempfindlichkeit (Photophobie) leiden, wurde ihnen bisher von vielen Ärzten eine Meidung von Tageslicht und hellen Lichtquellen geraten. Nun warnt aber ein Wiener Forscherteam, dass die Empfindlichkeit gegenüber Licht durch die Vermeidung sogar noch schlimmer werden könnte.
Migräne ist in Österreich eine weit verbreitete, belastende, chronisch wiederkehrende Erkrankung. Etwa zehn Prozent der Erwachsenen sind von Migräne betroffen, Frauen häufiger als Männer, aber auch Kinder und Jugendliche sind mit wiederkehrenden Migräneattacken konfrontiert. In der „Global Burden of Disease Study“ der Weltgesundheitsorganisation liegt Migräne, was die weltweite krankheitsbedingte Belastung betrifft, unter mehr als 300 Erkrankungen an sechster Stelle.
Lichtreize als Schmerzverstärker bei Migräne?
Betroffene leiden bei akuten Migräne-Attacken nicht nur unter Kopfschmerzen sowie Überempfindlichkeit gegenüber Gerüchen und Lärm, sondern häufig auch unter massiver Lichtempfindlichkeit. Zahlreiche Studien zeigen, dass Patienten mit Migräne unter Umständen eine regelrechte Lichtscheu, eine sogenannte Photophobie, entwickeln können. Die Lichtreize, die durch das Auge aufgenommen werden, werden vom Gehirn weitergeleitet und verstärken so offenbar die Schmerzreize. Diese Schmerzen, die Migräne-Patienten durch die Lichtreize erleiden, setzen in der Regel sofort dann ein, wenn der Lichtreiz auf den Sehnerv trifft. Sie lassen allerdings meist erst nach einigen Minuten in Dunkelheit nach.
In jedem Fall sind die Betroffenen in ihrem Alltag erheblich eingeschränkt. Oft wird schon normales Tageslicht als unerträglich empfunden, mit dem Ergebnis, dass sich Migräne-Erkrankte während einer Attacke in dunkle Räume zurückziehen, Licht aber oft auch zwischen den Attacken meiden. Eine solche Vermeidungsstrategie zählt bis dato auch zu den ärztlichen Empfehlungen für den Umgang mit Migräne.
Stärkere Empfindlichkeit durch Lichtvermeidung?
Laut neuesten Forschungen könnte die Vermeidung von Lichtreizen sogar schädlich sein, meinen Wiener Experten.
„Inzwischen wird nämlich vermutet, dass die Vermeidung von Licht nachteilig ist, weil sie die Empfindlichkeit gegenüber Licht, die so genannte Photophobie, weiter erhöhen könnte“, erklärt Kopfschmerzexperte Christian Wöber von der Universitätsklinik für Neurologie in Wien (MedUni Wien/AKH). Vergleichbar sei dies mit Menschen, die unter Höhen- oder Platzangst leiden und angstauslösende Situationen vermeiden – damit aber das Problem nicht lösen.
Ein Forscherteam der Medizinischen Universität Wien geht daher in einer soeben anlaufenden Studie des Wissenschaftsfonds FWF der Frage nach, ob es auch andere und vor allem nachhaltige Wege im Umgang mit der Lichtempfindlichkeit bei Migräne gibt. Erste Untersuchungen zeigen, dass nicht das Vermeiden von Licht, sondern umgekehrt, die Desensibilisierung des Gehirns gegenüber Lichtreizen die bessere Strategie sein könnte. Dabei durchlaufen die Betroffenen einwöchige Trainings, in denen sich das Gehirn durch „Flackerlicht“ an helles oder normales Licht gewöhnen soll.
Mittels Magnetresonanztomografie (fMRT) neue Therapieformen entwickeln
„Das aktuelle Forschungsprojekt wird mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT) die ersten Hirnfunktionsdaten zur bestmöglichen Strategie liefern“, sagt Antragsteller und fMRT-Experte Roland Beisteiner. Dabei werden beide Herangehensweisen – Lichtexposition und Lichtentzug – an Migränepatientinnen und -patienten und an Personen ohne Migräne untersucht und erstmals die Hirnreaktionen gemessen, um die Effekte der beiden gegensätzlichen Strategien sichtbar zu machen.
Bei der Untersuchung der zwei entgegengesetzten Konzepte mittels funktioneller Bildgebung wird also untersucht, ob Sitzungen in einer völlig abgedunkelten Umgebung bzw. im Flackerlicht zu einer Verbesserung dieser erhöhten Lichtempfindlichkeit führen. Zusätzlich soll mit der sogenannten funktionellen Magnetresonanztomographie vor und nach den Sitzungen der Blutfluss in den Hirnarealen, die für das Sehen zuständig sind, gemessen werden. Es gibt in dieser Studie zwei Gruppen, von denen eine die insgesamt 7 Sitzungen im Dunkeln und die andere die Sitzungen unter Flackerlicht verbringt.
Das Projekt wird von der Arbeitsgruppe fMRT unter Leitung von Beisteiner und der Arbeitsgruppe Kopfschmerz unter Leitung von Wöber gemeinsam mit Stefan Seidel durchgeführt. Unterstützt wird das Wiener Team durch den australischen Psychologen Paul Martin. „Noch ist unklar, ob das Gehirn wirklich weniger empfindlich wird durch Desensibilisierung, also eine Behandlung durch Licht. Wenn ja, wäre das ein völlig neuer Therapieansatz“, betonen die Forscher. Dass jede Patientin und jeder Patient in einem Abstand von drei Monaten beide Therapieformen durchläuft, ermögliche individuell am Patienten vergleichen zu können, in welche Richtung die Effekte gehen und wie sich die Gehirnaktivitäten von gesunden Personen unterscheiden.
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Quellen:
Universitätsklinik für Neurologie der Medizinischen Universität Wien
„Photophobie bei Migräne“ – Beschreibung der Studie
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