Schon 2017 kritisierte die EU komplizierte Beipackzettel für Medikamente, hat es aber verabsäumt konkrete Änderungen vorzuschreiben. Nun hat eine Onlinestudie des Max-Planck-Instituts aufgezeigt, dass vor allem Beschreibungen von Nebenwirkungen für Patienten oft nicht zu verstehen sind. Selbst viele Ärzte und Apotheker wissen nicht, dass kein ursächlicher Zusammenhang zwischen den als Nebenwirkungen gelisteten Symptomen und der Arzneimitteleinnahme bestehen muss.
Beipackzettel verstehen
Das Wort „Beipackzettel“ stammt aus der Umgangssprache, die gesetzliche Bezeichnung für diesen Zettel lautet „Gebrauchsinformation“. Was genau im Beipackzettel stehen muss, steht im Arzneimittelgesetz. Wie es allerdings genau verfasst werden muss, damit Patienten den Inhalt auch verstehen können, bleibt offen.
Zwar hat es sich mittlerweile weitgehend herumgesprochen, dass man vor der Einnahme eines Medikaments den Beipackzettel lesen sollte, um sich vor allem über die richtige Einnahme und mögliche Nebenwirkungen zu informieren. Doch letzteres gestaltet sich meist schwierig. Die Beschreibungen von Nebenwirkungen in Beipackzetteln von Medikamenten sind für Patienten oft nicht zu verstehen, dabei könnte schon ein kleiner Zusatz helfen. Zu diesem Schluss kommt eine Onlinestudie des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Berlin und der Universität Hamburg mit fast 400 Laien.
Missverständnisse entstehen vor allem, weil vergleichende Angaben dazu fehlen, wie häufig unerwünschte Symptome, die als Nebenwirkungen aufgeführt werden, mit und ohne Arzneimitteleinnahme auftreten. Aktuell sind solche vergleichenden Angaben aber weder auf Beipackzetteln in Deutschland noch in anderen europäischen Ländern zu finden.
„Den wenigsten Menschen ist bekannt, dass kein ursächlicher Zusammenhang zwischen den als Nebenwirkungen gelisteten Symptomen und der Arzneimitteleinnahme bestehen muss. Eine frühe Studie zeigt, dass selbst Ärzte und Apotheker irrtümlicherweise denken, dass die gelisteten Nebenwirkungen in der genannten Häufigkeit durch das jeweilige Arzneimittel verursacht werden“, sagt Erstautorin Viktoria Mühlbauer, Apothekerin und Doktorandin an der Universität Hamburg.
Studie untersucht Verständlichkeit alternativer Beipackzettel
Ziel der Studie war es, zu untersuchen, ob alternative Beipackzettel mit ergänzten Vergleichsinformationen Fehlinterpretationen verringern. Dafür zeigten die Wissenschaftler in einer Onlinestudie 397 Teilnehmer jeweils einen von vier Beipackzetteln. Alle Beipackzettel listeten dieselben vier Symptome (Nebenwirkungen) auf.
Drei der vier Beipackzettel waren dabei alternative Versionen, die die entsprechende Häufigkeit der Symptome sowohl mit als auch ohne Medikament aufführten und zusätzlich Erklärungen zur Kausalität zwischen dem Auftreten der Symptome und der Medikamenteneinnahme lieferten. Der vierte genutzte Beipackzettel in der Studie entsprach dem gegenwärtig in der Praxis verwendeten Standardbeipackzettel. Dieser stellte – wie aktuell üblich – lediglich Informationen zur Häufigkeit der Symptome unter Medikamenteneinnahme dar.
Bei der anschließenden Befragung punkteten vor allem jene, die einen alternativen Beipackzettel gelesen hatten. Während nur zwei bis drei Prozent der Teilnehmer*innen mit dem Standardbeipackzettel Fragen zu kausalen Häufigkeit korrekt beantworten konnten, waren es bei den alternativen Formaten bis zu 82 Prozent. Die alternativen Beipackzettel führten somit zu weniger Fehlinterpretationen.
„Das nach wie vor Informationsformate in unserem Gesundheitssystem genutzt werden, die Patienten und praktizierende Ärzte verwirren, ist ein Gesamtproblem, welches die Patienten- und Arzneimittelsicherheit gefährdet“, sagt Seniorautorin Odette Wegwarth, Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsbereich „Adaptive Rationalität“ des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung. Es gäbe mittlerweile eine fundierte Studienlage dazu, welche Informationsformate Patient*innen und Ärzt*innen im Verständnis von Nutzen und Schaden medizinischer Interventionen unterstützen und welche nicht. „Was wir brauchen, um diese Erkenntnisse in der Realität umzusetzen, ist der Wille und die Anstrengung aller Beteiligten im Gesundheitswesen“, so Wegwarth.
———-
Quellen:
Mühlbauer, V., Prinz, R., Mühlhauser, I., & Wegwarth, O. (2018). Alternative package leaflets improve people’s understanding of drug side effects—A randomized controlled exploratory survey. PLOS ONE, 13(9): e0203800. doi.org/10.1371/journal.pone.0203800
Das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung wurde 1963 in Berlin gegründet und ist als interdisziplinäre Forschungseinrichtung dem Studium der menschlichen Entwicklung und Bildung gewidmet. Das Institut gehört zur Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e. V., einer der führenden Organisationen für Grundlagenforschung in Europa.
Linktipps:
- Welche Medikamente bewirken eine Gewichtszunahme?
- Immer mehr Medikamentenfälschungen
- Patientensicherheit im Fokus
- Pharmakonzern weist bei Iberogast auf mögliche Leberschädigungen hin
- Multipler Sklerose (MS): Herausforderung für Betroffene und Angehörige
- Die Gesundheitssysteme von Österreich und der Schweiz im Vergleich