Angeblich hilft es ja, wenn man die Augen regelmäßig in die Weite schweifen lässt, anstatt nur über Bilanzen und Kleingedrucktem zu brüten. So beschreibt es zumindest der wohl berühmteste Reiseschriftsteller der Welt, Bruce Chatwin, der Mitte der 1960er-Jahre seinen Job in London kündigte und nach Afrika reiste.
Ursprünglich litt Mr. Cahtiwn unter starker Kurzsichtigkeit, dann aber ließ er seinen Blick über den weiten Horizont Afrikas gleiten, verbrachte die meiste Zeit unter freiem Himmel – und seine Augen wurden gesund. So hat er es jedenfalls immer wieder selbst erzählt. Doch funktioniert das wirklich? Der Blick in die Ferne statt in Bücher oder auf den Bildschirm als Heilmittel gegen Kurzsichtigkeit?
Myopie am Vormarsch
Weltweit ist der Anteil der Kurzsichtigen an der Bevölkerung zwischen 1972 und 2004 um zwei Drittel gestiegen, Tendenz seither weiter stark steigend! Der Hauptgrund für die starke Zunahme in den letzten Jahrzehnten sind veränderte Seh- und Lebensgewohnheiten in einer immer stärker von Displays geprägten Lebensumwelt.
Besonders alarmierend ist die Tatsche, dass bis zu 90 Prozent aller Schüler und Studenten in den städtischen Gebieten von Taiwan, Singapur, China und Südkorea bereits von Myopie betroffen sind. Der Blick in die Ferne zur Entspannung der Augen wird auch aufgrund der veränderten Architketur in Ballungszentren immer seltener möglich – und das bewirkt eine weitere Zunahme an Kurzsichtigkeit
Exkurs: Ursachen für Kurzsichtigkeit
In aller Kürze: Ein zu langer Augapfel führt dazu, dass es der Augenlinse nicht gelingt, die einfallenden Lichtstrahlen so zu bündeln, dass auf der Netzhaut (Retina) ein scharfes Bild entsteht. Der Brennpunkt liegt vor der Retina – je weiter, desto schlechter sieht man in die Ferne.
Es gibt auch einen genetischen Faktor: Leiden die Eltern unter Kurzsichtigkeit, ist das Risiko für die Kinder, ebenfalls kurzsichtig zu werden, bis zu viermal so hoch wie bei normalsichtigen Eltern.
Vorbeugung
Richtiges Verhalten bei Lesen und am Bildschirm
Kurzsichtigkeit entwickelt sich meist über die Zeit und wird im Lauf der Jahre stärker. Beim Lesen oder der Arbeit am Bildschirm wird der Blick vorwiegend auf den Nahbereich eingestellt, und so das Längenwachstum des Augapfels angeregt wird. Wichtig ist – und das überrascht wohl kaum – eine gute Beleuchtung.
Auch soll auf einen ausreichenden Abstand zwischen Augen und Buch oder Bildschirm geachtet werden – für das gesunde Auge ist ein Abstand von etwa 40 Zentimetern optimal. Wichtig: den Blick zwischendurch zur Entspannung aus dem Fenster schweifen lassen.
Für schädlich halten Fachleute darüber hinaus auch den ununterbrochenen Blick auf das Display der allgegenwtärtigen Smartphones. Auch Gameboys, deren Konsolen meist dicht vor die Augen gehalten werden, stehen unter besonderem Verdacht Kurzsichtigkeit zu fördern.
Der Blick in die Ferne
Wenn man neusten Studien glaubt, wäre ein wirksame Prophylaxe, wenn Kinder und Jugendliche einfach mehr Zeit im Park oder auf dem Fußballplatz verbringen: Wissenschafter aus China haben herausgefunden, dass das Längenwachstum des Augapfels – und die damit verbundene Verstärkung der Kurzsichtigkeit – sich bei Sechsjährigen bereits bremsen lässt, wenn man die Kinder pro Tag nur eine Stunde länger als üblich unter freiem Himmel spielen lässt!
Auch Langzeituntersuchungen an insgesamt 4.000 australischen Schülern ergaben: Je mehr Zeit junge Menschen draußen verbringen, desto geringer ist ihr Risiko, kurzsichtig zu werden. So verblüffend das klingen mag: Sonnenbaden scheint vorzubeugen.
Behandlung
Brille oder Linsen
Nich jeder mag als Brillenschlange durchs Leben laufen; zudem sind die Gestelle auf der Nase in vielen Lebensbereichen einfach unpraktisch. Als Alternative bieten sich Kontaktlinsen an, aber nachlässig gepflegte Kontaktlinsen führen häufig zu Augenproblemen: im schlimmsten Fall zu Infektionen der Hornhaut.
Laser
Als in den späten 1980er-Jahren erstmals Laser-Augenoperationen angeboten wurden, waren die Erwartungen groß. Doch OPs helfen nur bei prinzipiell gesunden – wenn auch kurzsichtigen – Augen. Das Verfahren eignet sich nur bei stabiler Kurzsichtigkeit bis zu zehn Dioptrien und genügend dicker Hornhaut. Und eine Laser OP am Auge birgt – wie jeder chirurgische Eingriff – auch Risiken.
Laut einer Langzeitstudie sind insgesamt 90 Prozent der Patienten mit dem Ergebnis ihrer Laseroperation zufrieden – doch jeder Zehnte ist enttäuscht. Einige klagen seit dem Eingriff über ein Fremdkörpergefühl beim Zwinkern oder starke Augentrockenheit.
Weitere mögliche Komplikationen: unscharfes Sehen bei schlechtem Licht, Blendeffekte (Halos), oder auch extreme Lichtempfindlichkeit. Auch Lichtblitzen, Schleier im Gesichtsfeld oder Doppelbilder sind möglich.
Auch hat der Eingriff keine Auswirkungen auf ein mögliches Weiterwachsen des Augapfels: Manche werden nach der OP erneut kurzsichtig – und alles beginnt von vorn.
Neue Therapien
Mittlerweile wird an neuen Therapieformen, die zumindest das Fortschreiten von Kurzsichtigkeit bremsen sollen, geforscht.
Eigenaktivierung
Die Hoffnung vieler Optiker und Augenärzte, dass Brillengläser oder Linsen mit einer etwas zu schwachen Korrektur der Fehlsichtigkeit die Augen stärker fordern und dadurch ‚trainieren‘ und gesünder halten würden, wurden leider enttäuscht. Entsprechende Studien konnten keine positiven Ergebnisse berichten.
Spezialgläser
Ein interessanter Ansatz sind hingegen Spezialgläser, die die Kurzsichtigkeit nur im Zentrum des Blickfelds voll ausgleichen, den äußeren Bereich hingegen leicht kurzsichtig belassen. In Tierversuchen konnte man auf diese Weise das Längenwachstum des Augapfels deutlich verlangsamen. Die Ergebnisse sind vielversprechend, aber beim Menschen besteht noch viel Forschungsbedarf.
Atropin gegen Kursichtigkeit?
In Asien, wo Kurzsichtigkeit schon beinahe das Ausmaß einer Epidemie erreicht hat, sind neuerdings auch Medikamente gegen Myopie am Markt.
Gerade bei Kindern setzen asiatische Augenärzte auf Atropin, eine Substanz aus der Tollkirsche. Atropin löst verstärkt die Freisetzung des Botenstoffs Dopamin in der Netzhaut des Auges aus, was das Längenwachstum des Augapfels nachweislich verlangsamt.
Doch das Medikament ist umstritten. „Atropin-Tropfen bewirken oft erhöhte Lichtempfindlichkeit oder verschwommenes Sehen“, sagt Michael Amon, Vorstand der Augenabteilung des Krankenhauses der Barmherzigen Brüder in Wien. „Darüber hinaus ist Atropin toxisch.“ In Österreich sind Atropin-Tropfen bisher nicht zugelassen.
Forscher aus Singapur stellten nun aber fest, dass Atropin das Längenwachstum des Auges auch dann noch hemmt, wenn es hundertfach verdünnt wird – und dadurch für den Organismus viel besser verträglich ist. „Ich denke, dass diese Substanz, niedrig dosiert, in Zukunft auch in Europa eine größere Rolle spielen wird“, meint Augenexperte Schaeffel vom Universitätsklinikum Tübingen.
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Quellen:
– Pharamzeutische Zeitung –Myopie bei Kindern: Atropin hilft, wenn die Dosis stimmt
– NZZ – Wissenschaft –Medikament gegen Kurzsichtigkeit bei Kindern
Linktipps:
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