600 Medikamente gelten derzeit in Österreich als nicht oder nur sehr eingeschränkt lieferbar. Insbesondere Antibiotika, Schmerzmittel und Cortisonpräparate sind Mangelware – und hier vor allem jene, die speziell für Kinder geeignet sind.
Ursachenforschung: Warum die Medikamente knapp werden
Die Ursachen für Arzneimittelknappheit in Österreich sind vielschichtig und multifaktoriell.
Ein Grund kann die ausgelagerte Produktion sein, bei der pharmazeutische Wirkstoffe in Ländern mit niedrigeren Arbeitskosten hergestellt werden.
Ein weiterer Grund könnte die erhöhte Nachfrage nach bestimmten Medikamenten aufgrund der COVID-19-Pandemie sein.
2019 waren in Österreich 323 Arzneimittel von Versorgungsengpässen betroffen. Diese Zahl stieg auf 1.096 Meldungen im Jahr 2020 und 788 Meldungen im Jahr 2021.
Ende 2022 begannen die EU-Länder, ernsthafte Probleme bei der Beschaffung bestimmter wichtiger Medikamente zu melden, wobei die Mehrheit nun unter Engpässen leidet.
In Österreich sind derzeit mehr als 600 Medikamente nicht in Apotheken erhältlich.
Jeder Sechste von Versorgungsengpässe bei Medikamenten betroffen
Inwieweit die Versorgungsengpässe bei Pharmazeutika den Österreicherinnen und Österreichern Sorgen bereiten, welche Gegenmaßnahmen sie sich von der Politik wünschen und wie sie den Zustand des heimischen Gesundheitssystem generell bewerten, zeigt eine aktuelle Studie unter 1.000 Befragten des Online Research Instituts Marketagent.
Seit Wochen gibt es immer wieder Berichte über Lieferengpässe bei Pharmaprodukten. Probleme in der Lieferkette, aber auch aktuelle Erkrankungswellen sorgen dafür, dass mehr als 600 Medikamente derzeit in Österreich als nicht oder nur eingeschränkt lieferbar gelten.
Besonders prekär ist die Lage aktuell bei Pharmazeutika, die speziell für Kinder hergestellt werden. Für mehr als ein Drittel der heimischen Befragten (36%) stellt die Knappheit von Antibiotika, Schmerzmittel und Co. daher durchaus eine Bedrohung dar.
In der Gruppe der Frauen machen sich sogar 4 von 10 sehr oder eher große Sorgen deswegen. 17% der befragten Österreicherinnen und Österreicher zwischen 14 und 75 Jahren geben an, selbst von den Engpässen betroffen zu sein. Damit ist rund jeder Sechste aktuell nicht in der Lage, die gewohnte oder gewünschte Versorgung mit Arzneimitteln zu erhalten.
Die Auswirkungen und Lösungsstrategien angesichts der Mangelversorgung sind mannigfaltig. 42% der Betroffenen können als Alternative auf wirkstoffgleiche Medikamente wie z.B. Generika zurückgreifen, 30% weichen auf Arzneimittel mit anderen Wirkstoffen aus.
Fast ein Drittel versucht durch das Anlegen eines Vorrats an dringend benötigten Arzneien der Lage Herr zu werden. Jeweils rund jeder Achte versucht ein Aussetzen der Behandlung bzw. den Umstieg auf alternativmedizinische Lösungen.
„Von der Politik fühlt sich die Bevölkerung in der aktuellen Situation allein gelassen. 7 von 10 Befragten haben nicht das Gefühl, dass die Verantwortlichen genügend unternehmen, um eine ausreichende Medikamentenversorgung sicherzustellen“, so Thomas Schwabl, Geschäftsführer von Marketagent.
Knappe Medikamente, wenige Hersteller
Derzeit wird von einem Versorgungsengpass bei Antibiotikasäften für Kinder berichtet. Während die Apothekerkammer eine hauseigene Herstellung der Mittel mithilfe von Rohstoffen aus dem Ausland vorschlägt, muss eine langfristige Lösung für die sich häufenden Engpässe bei Medikamenten gefunden werden.
Alle Antibiotika-Kindersäfte sind patentfrei, dementsprechend hoch ist hier der Generikaanteil: Er liegt bei ca. 57 Prozent. Insgesamt sind 30 unterschiedliche Generika für Antibiotikasäfte für Kinder im Handel. Laut IQVIA wurden 2022 um 93,4 Prozent mehr Antibiotikasäfte abgegeben als 2021 und um 11,4 Prozent mehr im Vergleich zu 2019, also vor der Pandemie.
Die Nachfrage hat sich zuletzt also um ein Vielfaches erhöht. Gleichzeitig sinken die Preise für solche Medikamente stetig: der Durchschnittspreis einer Packung beträgt 5,25 EUR und ist damit seit 2019 um knapp 5 Prozent gefallen.
Viele Lieferengpässe sind eine negative Folge der Globalisierung. Aus Kostengründen produzieren die meisten Arzneimittelhersteller nicht mehr in Europa, sondern fast nur noch in Asien (vor allem in China und Indien). Oft wird ein Wirkstoff auch nur noch an einem oder zwei Standorten weltweit produziert.
Weltweit gibt es beispielsweise für Penicillin-Wirkstoffe, welche zur Untergruppe von Antibiotika gehören, nur noch fünf Hersteller. Der größte ist in China, der zweitgrößte Hersteller in Tirol, Österreich.
Investitionen in die Steigerung der Produktionskapazität und -effizienz sind kaum mehr finanzierbar und die Wirkstoffproduktion verschiebt sich aus Kostengründen immer mehr auf Länder wie China oder Indien. Dort kommt es in weiterer Folge zu einer Konsolidierung der Firmen, weil auch dort das Volumen die Produktionskosten beeinflusst. Das führt dazu, dass es für viele Wirkstoffe nur noch wenige Hersteller gibt.
Die Versorgung funktioniert zwar im Regelfall sehr gut, konnte aber die zuletzt extrem hohe Nachfrage nicht mehr kurzfristig decken.
Was tun gegen Lieferengpässe bei Medikamenten?
Im Bereich der Generika bedeuten niedrige Preise hauchdünne Margen für Unternehmen, was es für Unternehmen schwierig macht, die Produktion aus Kostengründen ausreichend zu steigern.
Der Österreichische Generikaverband (OeGV) fordert daher unter anderem die Einführung der Möglichkeit, Arzneimittelpreise zumindest an den Verbraucherpreis-Index anzupassen, um die enorm steigenden Kosten wenigstens teilweise zu kompensieren.
Zudem fordert der OeGV die Konzentration auf Maßnahmen, die die Generika-Verschreibungsanteile anheben. Jedes zusätzliche Prozent an Generika-Verordnungen würde der gesetzlichen Krankenversicherung 15 Mio. EUR ersparen. Aus Sicht des OeGV bedeuten mehr Generika mehr Behandlungsalternativen und damit eine bessere Versorgung.
Die Österreichische Apothekerkammer spricht sich klar dafür aus, wieder verstärkt Arzneimittel und Medizinprodukte in Europa herzustellen, um die Abhängigkeiten in der Arzneimittelproduktion vom asiatischen Raum zu minimieren und die Produktion flexibler auf den Bedarf hierzulande anpassen zu können – gerade bei so wichtigen Medikamenten wie Antibiotika.
Der Vorschlag der Rückholung der Arzneimittelproduktion nach Europa stößt auch in der österreichischen Bevölkerung auf großen Zuspruch – 8 von 10 unterstützen diese Maßnahme.
Auch die Einrichtung von Krisenvorräten besonders wichtiger Medikamente wird von einem Großteil – konkret 74% – befürwortet. Die heiß diskutierte Einführung der Wirkstoffverschreibung stößt bei fast 6 von 10 Befragten auf Zuspruch.
Deutlich weniger positiv steht man hierzulande hingegen Änderungen in der Preispolitik, sprich einem Anheben der Arzneimittelpreise, gegenüber (30%).
Die Europäische Kommission schlägt Maßnahmen vor, darunter die Verpflichtung der Hersteller, größere Reserven vorzuhalten und frühzeitig vor Engpässen zu warnen. Die Führungskräfte möchten jedoch, dass Brüssel auch ihre Forderungen an die Regierungen unterstützt, Ausschreibungs- und Preissysteme zu ändern.
Das deutsche Parlament wird in diesem Jahr gesetzliche Änderungen an seinem Ausschreibungssystem für Generika prüfen, während das spanische Gesundheitsministerium Reuters letzten Monat mitteilte, dass die Regierung Änderungen an ihrem Preissystem erwäge, die dazu führen könnten, dass vorübergehend höhere Preise für Medikamente wie Amoxicillin gezahlt werden.
In Österreich führt und veröffentlicht das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) führt eine Liste, in der nicht oder nur eingeschränkt verfügbare Medikamente erfasst sind. Die Hersteller sind zur Meldung verpflichtet. Die Liste unterliegt verständlicherweise großen Schwankungen, u.a. aufgrund von saisonalen Gegebenheiten.
Hier die Liste der Meldungen zu Vertriebseinschränkungen von Arzneispezialitäten in Österreich.
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Quellen:
Wissenswertes über Medikamentenknappheit (apothekerkammer.at)
AGES: Arzneimittel & Lieferengpässe
Availability of medicines [European Medicines Agency (EMA)]
Österreichischer Generikaverband (OeGV)
Linktipps:
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