Bereits jedes vierte Kind ist in Österreich übergewichtig, Tendenz nach wie vor steigend. Das Problem ist dabei längst kein kosmetisches, starkes Übergewicht und Fettleibigkeit (Adipositas) sind ernstzunehmende gesundheitliche Beeinträchtigungen und chronischen Erkrankungen gleichzusetzen. Sie sind damit ein gesellschaftliches Problem ersten Ranges, dennoch bagatellisieren viele Gesundheitspolitiker dieses Problem weiterhin. Das Österreichische Akademische Institut für Ernährungsmedizin (ÖAIE) fordert nun die Einführung von verpflichtendem Unterricht in gesundem Lebensstil, den Ausbau der schulischen Infrastruktur hinsichtlich Sport- und Bewegungsmöglichkeiten und die Ausbildung und Bereitstellung von medizinisch geschultem Personal.
Die Forderung dem rasant steigenden Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen durch gezielte schulische Maßnahmen gegenzusteuern kommt nicht von ungefähr. Da die Schule mit dem geplanten Ausbau von Ganztagesformen zunehmend prägender Lebensmittelpunkt der Schüler werde, müsse ein wesentlicher Teil der im Sommer von der Regierung beschlossenen Investitionen in die Gesundheitsprävention fließen, u.a. in die Einführung von verpflichtendem Unterricht in gesundem Lebensstil, den Ausbau der schulischen Infrastruktur hinsichtlich Sport- und Bewegungsmöglichkeiten und die Ausbildung und Bereitstellung von medizinisch geschultem Personal.
Zudem sollen die Kompetenzen der Schulärzte – wie zuletzt auch von der Lehrergewerkschaft und der Juristin, Psychotherapeutin und Präventionsexpertin Univ.-Prof. Dr. Rotraud Perner gefordert – erweitert und kranken Kindern ein leichterer Zugang zu Therapien ermöglicht werden.
Prävention muss bereits im Schulalter ansetzen
Das ÖAIE fordert, im Zuge des Ausbaus der Ganztagesschule der Prävention einen hohen Stellenwert einzuräumen. So soll verpflichtender Unterricht in gesundem Lebensstil durch wissenschaftlich ausgebildetes Personal eingeführt werden, in dem Schülern praktisches Wissen um gesunde Ernährung und Bewegung vermittelt wird. Außerdem müssen Turnsäle und Sportplätze dringend ausgebaut werden, damit Kinder und Jugendliche täglich körperlich aktiv sein können.
„Eine wesentlich größere Rolle als bisher muss in der neuen Ganztagesschule den Schulärzten zukommen“, sagt Widhalm. „Mit ihnen haben Schulen bestens ausgebildete Experten vor Ort, die Präventionsprogramme managen und überwachen können. Gleichzeitig sollen ihre Kompetenzen erweitert werden, damit sie Krankheiten wie Übergewicht frühzeitig diagnostizieren und Therapien einleiten können.“
Ebenso müssen die von Schulärzten erhobenen Daten hinsichtlich Größe und Gewicht der Schulkinder endlich zentral gesammelt und ausgewertet werden, um eine seriöse Grundlage für die Evaluation wissenschaftlicher Präventionsprogrammen zu schaffen.
Wie erkennt man Übergewicht und Fettleibigkeit bei Heranwachsenden?
„Auskunft geben die sogenannten Perzentilenkurven, sie geben an, welche Werte für den Body-Mass-Index (BMI) in welchem Alter normal sind. Der BMI wiederum errechnet sich aus dem Körpergewicht in Kilogramm, dividiert durch das Quadrat der Körpergröße in Metern.“
„Der Wert für die 90. Perzentile bedeutet beispielsweise, dass 90 % aller Kinder oder Jugendlichen in diesem Alter unter dem betreffenden Wert bleiben. Wir definieren an unserer Abteilung Übergewicht als einen BMI, der die 90. Perzentile für das jeweilige Alter überschreitet, Fettsucht als eine Überschreitung der 97. Perzentile. Die Perzentilenkurven sind in der medizinischen Literatur publiziert und allen Ärzten zugänglich.“ so Prof. Dr. Kurt Widhalm.
„Für Eltern wird folgende Methode zur Erkennung empfohlen: Man nimmt die Haut mitsamt dem Unterhautfettgewebe am Rücken zwischen Daumen und Zeigefinger: wenn die Falte dicker ist als ein Zeigefinger, dann ist auf jeden Fall Vorsicht geboten. Wenn man es genau wissen will, sollte man zum Arzt gehen, der genau feststellen kann, in welchem Gewichtsbereich sich der oder die Betreffende befindet.“
Wissenschaftlich fundierte Prävention an Schulen zeigt Wirkung – kombinierte Interventionsmaßnahmen sind Schlüssel zum Erfolg
Seit bereit drei Jahren führt das ÖAIE in Zusammenarbeit mit dem Österreichischen Herzfonds an Wiener Schulen das Pilotprojekt EDDY („Effects of sports an diet trainings to prevent obesity and secondary diseases and to influence young children’s lifestyle“) durch, um die Wirksamkeit von schulischen Interventionsmaßnahmen bei übergewichtigen Kindern wissenschaftlich nachzuweisen. Wesentliche Erkenntnis ist, dass Prävention nur dann wirkt, wenn ein Bündel aufeinander abgestimmter Maßnahmen aus unterschiedlichen Bereichen zum Einsatz kommt.
„Singuläre Maßnahmen wie Informationsbroschüren oder Vorträge zur richtigen Ernährung bringen nachweislich gar nichts,“ erläutert Widhalm. „Ein kombinierter Maßnahmenmix aus regelmäßigem Ernährungsunterricht, Sporttrainings und medizinischen Untersuchungen steigert hingegen nicht nur das Ernährungswissen und beeinflusst den Lebensstil der Kinder positiv, sondern findet auch medizinisch messbaren Niederschlag im geringeren Anstieg des Körperfetts und des LDL-Cholesterins.“
Das ÖAIE fordert daher, die wissenschaftlichen Erkenntnisse des EDDY-Projekts in flächendeckende Präventionsprogramme an Ganztagesschulen einfließen zu lassen. Gleichzeitig betont es die Notwendigkeit, mehr Fachleute auf den Gebieten der Medizin, Psychologie, Ernährungs- und Sportwissenschaften für die Arbeit an Schulen auszubilden und Fortbildungsmöglichkeiten für Lehrer anzubieten.
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Quellen:
Adipositas (Fettsucht) bei Kindern und Jugendlichen
Österreichisches Akademisches Institut für Ernährungsmedizin
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