Neue EU-Entsendungsrichtlinie soll Lohn- und Sozialdumping auch in der Pflegebranche eindämmen

Politik & Forschung

Die Europäische Union plant eine Überarbeitung der sogenannten Entsenderichtlinien nach dem Motto ‚gleichen Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort‘ ebenso wie schärfere Kontrollen. Das hat auch Auswirkungen auf die Pflegebranche. Besonders der französische Staatspräsident Emmanuel Macron hat angekündigt, die EU-Entsenderichtlinie zu entsandten Arbeitskräften reformieren zu wollen, denn die derzeitige Situation sei unbefriedigend. Momentan werden entsandte Arbeiter mit dem Mindestlohn des Landes, in dem sie arbeiten, bezahlt. Heimischen Arbeitern muss meist mehr gezahlt werden, weil bei ihnen branchenspezifische Auflagen gelten.

Ein „entsandter Arbeitnehmer“ ist ein Arbeitnehmer, der von seinem Arbeitgeber in ein anderes EU-Land geschickt wird, um dort während eines begrenzten Zeitraums eine Dienstleistung zu erbringen. Dafür wurden Mindeststandards in der sogenannten EU-Entsendungsrichtlinie festgeschrieben, die gewährleisten sollen, dass diese Rechte und Arbeitsbedingungen in der gesamten EU geschützt sind und um „Sozialdumping“, d. h. das Unterbieten von Preisen auf lokalen Märkten durch ausländische Dienstleister, deren Arbeitsstandards niedriger sind, zu vermeiden. Doch genau letztgenanntes funktionuert nicht wie gewünscht.

Die Entsendungsrichtlinie in der Theorie

Die europäische Entsenderichtlinie aus dem Jahr 1996 regelt, unter welchen Bedingungen Unternehmen aus einem EU-Land Arbeitskräfte in ein anderes EU-Land ‚entsenden‘ dürfen. Als die Entsenderichtlinie vor zwei Jahrzehnten beschlossen wurde, sollte neben dem Handel mit Warengütern auch die Möglichkeit geschaffen werden, länderübergreifend Dienstleistungen im EU-Binnenmarkt anbieten zu können. Jedes Unternehmen in der EU darf seither Aufträge in der ganzen EU annehmen und mit eigenen Arbeitskräften ausführen – unter der Bedingung, dass die im Auftragsland üblichen Arbeitsvorschriften und die Zahlung des dortigen Mindestlohns eingehalten werden.

Die derzeitigen EU-Vorschriften im Überblick:

  • Mindestentgeltsätze
  • Höchstarbeitszeiten und Mindestruhezeiten
  • bezahlter Mindestjahresurlaub
  • Bedingungen für die Überlassung von Arbeitskräften durch Leiharbeitsunternehmen
  • Sicherheit, Gesundheitsschutz und Hygiene am Arbeitsplatz
  • Gleichbehandlung von Männern und Frauen

Intensiv genutzt wird dieses Vorgehen seitdem unter anderem im Baugewerbe wie auch in der Pflegebranche.

Die Entsendungsrichtlinie in der Praxis

In der Realität wurden diese Maßgaben jedoch häufig umgangen, und gerade im Bereich der Pflege fehlten intensive Kontrollen. In über 300.000 Privathaushalten in Deutschland versorgen osteuropäische Betreuungskräfte pflegebedürftige Senioren „rund um die Uhr“. Diese sogenannte „24-Stunden-Betreuung“ hat sich zu einer tragenden Säule und damit zu einem elementaren Bestandteil des deutschen Gesundheits- und Sozialwesens entwickelt. In Österreich herrscht eine vergleichbare Situation. Statistisch gesehen ist jede 4. Familie in Österreich mit der Problematik von Hilfs- oder Pflegebedürftigkeit unmittelbar konfrontiert. (Quelle: ÖBIG, 2005)

Waren 1992 noch rund 500.000 Personen betreuungsbedürftig, so schätzen Experten, dass es im Jahr 2030 zwischen 650.000 und 1.000.000 pflegebedürftigen Personen geben wird. Das Sozialministerium geht jedenfalls von ca. 17.000 zusätzlich benötigten Pflegekräften bis zum Jahr 2020 aus.

Rechtliche Grundlage der sogenannten „24-Stunden-Betreuung“ ist eben die Entsendung von Betreuungskräften durch eine ausländische Agentur. Alternativ dazu gibt es die Tätigkeit als selbstständige Betreuungskraft mit Gewerbe in Österreich bzw. Deutschland.

Pflegeallianz in Deutschland als Vorbild?

In Deutschland wurde die Hausengel PflegeAllianz e.V. sgegründet – sie setzt sich für die Bedürfnisse und Rechte aller am Pflegeprozess beteiligten Personen ein – dazu zählen die Pflegebedürftige selbst, deren Angehörige, wie auch deren Pflege- und Betreuungskräfte. Insbesondere der Aufklärungsarbeit und dem Aufdecken von Missständen hat sich der gemeinnützige Verein verschrieben.

Markus Oppel, Vorsitzender der Hausengel PflegeAllianz e.V. bekräftigt daher den Vorstoß der EU: „Wir begrüßen eine Überarbeitung der Entsenderichtlinien in der geplanten Form. Für uns ist der Dreh- und Angelpunkt ein Plus an Gerechtigkeit und Transparenz für die in Deutschland arbeitenden Betreuungskräfte. Für eine stetige Verbesserung deren Arbeitsbedingungen setzen wir uns seit Jahren mit Hingabe ein.“ Oppel erklärt weiter: „Schwarzen Schafen in der Branche, die vielleicht sogar die aktuell herrschende Entsenderichtlinien für Betreuungskräfte umgehen, wird damit nochmals schärfer begegnet. Die geplante Verstärkung von Kontrollen im In- wie osteuropäischen Ausland spiegelt unsere jahrelangen Forderungen wider.“

Aber auch pflegende Angehörige und die Betreuungskräfte selbst sieht Oppel in der Pflicht genau hinzuschauen: „Wir haben jüngst einen umfassenden Beratungsbogen für Betreuungskräfte erarbeitet, anhand dessen sie Beratungsgespräche mit Vermittlern dokumentieren können. Diese Beratungsdokumentation soll gewährleisten, dass eine Betreuungskraft von ihrem Vermittler über alle wichtigen Themen der Betreuung in häuslicher Gemeinschaft informiert und aufgeklärt wurde. Allen Beteiligten dient das Dokument der Qualitätssicherung durch Transparenz. Es steht jedem auf unserer Website frei zum Download zur Verfügung.“

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Quellen:

¹ Europäische Kommission – Entsendung von Mitarbeitern
² Die EU-Entsenderichtlinie: Regelungen für grenzüberschreitende Arbeitsaufträge (GPA)
³ Beratungsdokumentation für Betreuungskräfte (hausengel-pflegeallianz.de)

Die PflegeAllianz vereint Pflegefachkräfte, pflegende Angehörige, private Dienstleister aus der ambulanten Versorgung, Betreuungskräfte aus Osteuropa und viele andere Interessierte. Gemeinsam verfolgen sie ein großes Ziel: Die Förderung der würdevollen, ambulanten Versorgung von hilfe- bzw. pflegebedürftigen Menschen im häuslichen Umfeld.

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