Anlässlich der „Woche der Primären Immundefekte“ wollen Experten auf die Anliegen von Menschen mit Primären Immundefekten (PID) aufmerksam machen. Diese Erkrankungen bleiben oft jahrelang unentdeckt und es werden nur Symptome behandelt.
Die richtige Therapie bekommen Betroffene meist erst nach einem sehr langen Leidensweg. Dabei gibt es klare Warnzeichen für das Vorliegen eines PID und entsprechende Testverfahren. Was fehlt ist das Bewusstsein für die Erkrankung sowohl in Fachkreisen als auch in der Öffentlichkeit.
Eine sogenannte Immundefizienz ist eine angeborene oder erworbene Störung in der Funktion des körpereigenen Immunssystems. Dabei wird zwischen primären (angeborenen) und sekundären (erworbenen) Defekten in der Immunabwehr unterschieden. Charakteristisch für beide Varianten sind Infektionern oder ungewöhnliche Erkrankungen, die in in extremen Maß wiederholt auftreten. In Österreich leben offiziell etwa 200 Personen mit der Diagnose „Primärer Immundefekt“ in Österreich. Die Dunkelziffer dürfte nach Schätzungen der Schwerpunktmediziner allerdings fünf bis sieben Mal höher sein.
Primäre Immundefekte (PID)
Immundefekte sind eine Gruppe von Erkrankungen, bei denen ein Teil des körpereigenen Immunsystems fehlt oder nicht richtig funktioniert. Normalerweise schützt das Immunsystem den Körper vor Krankheitserregern wie Bakterien, Viren oder Pilzen. Wenn ein Teil des Immunsystems fehlt oder nicht funktionsfähig ist, kann die betreffende Person anfällig für Infektionen sein und längere Zeit benötigen, um sich von einer Infektion zu erholen.
Defekte im Immunsystem, die genetisch festgelegt sind, werden als primäre Immundefekte (PID) bezeichnet, davon sind über 300 verschiedene Formen bekannt. Schätzungen zufolge sind weltweit rund sechs Millionen Kinder und Erwachsene von PID betroffen.
Unbekannt, unentdeckt und lebensbedrohlich
PIDs können sich im Kindesalter oder auch erst im Jugend- oder Erwachsenenalter manifestieren. Führendes Symptom ist in den meisten Fällen eine deutlich erhöhte Infektanfälligkeit. Da die Diagnose häufig übersehen wird, werden Immundefekte oft zu spät erkannt – nicht selten erfolgt die Diagnose erst nach mehreren Jahren. Für die Betroffenen kann dies lebensbedrohlich sein, etwa wenn Infektionen einen schweren Verlauf nehmen (Blutvergiftung, Hirnhautentzündung, Lungenentzündung, etc.) oder sich bereits Langzeitschäden manifestiert haben. Experten gehen davon aus, dass 70 bis 90 Prozent der Betroffenen nach wie vor nicht diagnostiziert sind.
„Als Kinderarzt erlebt man, dass Kinder ständig krank sind – das ist meist normal und gehört zur Bildung eines gesunden Immunsystems dazu. Die große Herausforderung ist die Differenzierung was noch normal ist und was bereits pathologisch ist. Wir Kinderimmunologen sind spezialisiert darauf, diesen oft feinen Unterschied zu erkennen, ab wann man sich Sorgen machen muss und ab wann eine Therapie notwendig ist“, erläutert Assoc.-Prof. Priv.-Doz. Dr. Kaan Boztug, Medizinischer und Wissenschaftlicher Direktor des Wiener Zentrums für Seltene und Undiagnostizierte Erkrankungen (CeRUD) der MedUni Wien und Direktor des Ludwig Boltzmann Institute for Rare and Undiagnosed Diseases sowie Leiter der Immunologie am St. Anna Kinderspital.
Lebensqualität mit PIDs
Menschen mit PIDs sind in ihrer Lebensqualität oft stark eingeschränkt: Sie leben mit häufigen und/oder starken Erkältungen, anhaltendem Husten, chronischen Nasennebenhöhlen-entzündungen und hartnäckigen wiederkehrenden Infektionen. Auch die psychosoziale Situation ist zu beachten: Wenn jeder Kontakt mit anderen Menschen als Infektionsgefahr gesehen werden muss, führt dies zu sozialer Isolation und durch häufige Krankheitsphasen kann bei Kindern der Schulerfolg und bei Erwachsenen der berufliche Aufstieg sehr leiden.
Patientin Vera B. (Name geändert) lebt seit ihrem 15. Lebensjahr mit der Diagnose Primärer Immundefekt: „Am Anfang ist das natürlich nicht leicht. Durch die Therapie fehlt man öfter in der Schule und muss vieles einarbeiten, aber ich habe mich daran gewöhnt und plane es ein in mein Leben. Es kommen aber immer wieder die Momente, an denen man daran erinnert wird, dass man nicht ganz normal leben kann, wie im Schulunterricht nicht überall mitmachen zu können, niemals eine Therme oder ein Hallenbad besuchen zu können. Es sind diese kleinen Dinge, die einem verwehrt bleiben, die mir das Leben manchmal schwer machen und mich psychisch belasten.“
Warnzeichen können auf angeborene Immundefekte hinweisen
„Die wichtigsten Warnzeichen, die auf eine PID hinweisen können, sind eine erhöhte Infektanfälligkeit, die Familien-Krankheitsgeschichte, das Gewicht – beim Kind fehlende Gewichtszunahme, beim Erwachsenen unerklärlicher Gewichtsverlust – und fehlendes Ansprechen auf herkömmliche Therapien wie zum Beispiel Antibiotika. Diese Warnzeichen gelten für Kinder und Erwachsene mit leichten altersentsprechenden Unterschieden“, erklärt Univ. Prof.in Dr.in Elisabeth Förster-Waldl, Leiterin der Ambulanz für Störungen der Immunabwehr an der Uni-Klinik für Kinder und Jugendheilkunde der MedUni Wien – AKH Universitätscampus.
Eine sehr wichtige Phase bei den PIDs ist der Übergang vom Kind zum Erwachsenen.
„Wo geht der Patient/in hin, wenn er/sie nicht mehr zum Pädiater geht? Als Erwachsener ist plötzlich eine Vielzahl von Fachärzten zuständig – Gastro-Enterologie, Pulmologe, Dermatologie aber auch HNO, Rheumatologie, Hämatoonkologie, Allergologie und natürlich Immunologie. Idealerweise wendet er/sie sich an ein Kompetenzzentrum zur Abklärung“, führt Förster-Waldl aus.
Patientenwunsch: Individualisierte Immunglobulin-Therapie
Über 70% aller Immundefekterkrankungen können erfolgreich durch eine Therapie mit Immunglobulinen behandelt werden. Diese ersetzen die fehlenden Antikörper und stellen den wirksamen Schutz vor Infekten wieder her.
So vielseitig wie die Erkrankung selbst sind auch die Behandlungsformen und die Bedürfnisse der Patienten, die von einem primären Immundefekt betroffen sind. Um aktiv am Leben teilnehmen zu können bedürfen sie fast immer einer lebenslangen Therapie, meist mit Immunglobulinen.
Immunglobulin ist ein anderer Name für Antikörper, der auch bei der Beschreibung der Behandlung Verwendung findet. Das Ziel dieser Ersatztherapie ist die Gabe jener Antikörper, die normalerweise für die Bekämpfung von Infektionen zuständig sind, aus dem Blutplasma gesunder Spender.
Neue Immunglobulin-Therapien bieten Patienten flexible Behandlungsoptionen, wie die subkutane Selbstbehandlung, die auch zu Hause durchgeführt werden kann. Dies ist für einen möglichst flexiblen Umgang mit einer lebenslangen Behandlung wichtig für die Lebensqualität der Patienten, wie auch Vera B. bestätigt: „Was sich positiv entwickelt hat, ist meine Immunglobulintherapie, die ich jetzt einmal pro Woche zu Hause selbst durchführen kann. Das bedeutet für mich deutlich mehr Unabhängigkeit und mehr Zeit im Vergleich zum ins Spital fahren, das doch den größten Teil eines Tages in Anspruch genommen hat.“
————-
Quellen:
¹ Österreichische Selbsthilfe für primäre Immundefekte
² Bousfiha A, Jeddane I, Al-Herz W, et al. The 2015 IUIS phenotypic classification for primary immunodeficiencies. J Clin Immunol. 2015; 35(8): 727-738.
Linktipps:
- U-Boot Krankheiten
- Neurodermitis im Sommer: Wenn die Badesaison zur Herausforderung wird
- Morbus Fabry – seltene genetisch bedingte Stoffwechselerkrankung
- Kapillarmikroskopie bei Rheuma: treffsichere Diagnose in wenigen Minuten
- Neurodermitis-Behandlungen im Vergleich
- Rosacea – die unbekannte Hautkrankheit