Neue Studien zeigen, dass der beliebte Zuckerersatzstoff Xylitol – auch als Birkenzucker bekannt – möglicherweise das Risiko für Blutgerinnsel und damit für Herz-Kreislauf-Erkrankungen steigern könnte. Was heißt das für Verbraucherinnen und Verbraucher? Wer sollte besser auf Xylit verzichten? Und wie wirkt der Stoff eigentlich im Körper?
Xylit – natürlich, zahnfreundlich, harmlos?
Xylit, häufig als Birkenzucker vermarktet, gehört zur Gruppe der Zuckeralkohole (Polyole). Er kommt in kleinen Mengen natürlich in Früchten, Gemüse und im menschlichen Stoffwechsel vor. Industriell wird er meist aus Holzzucker (Xylose) gewonnen – daher der Name „Birkenzucker“.
In den letzten Jahren hat Xylit einen regelrechten Hype erlebt: Es schmeckt süß wie Zucker, verursacht aber keinen raschen Blutzuckeranstieg, enthält rund 40 % weniger Kalorien und ist zahnfreundlich – Eigenschaften, die es vor allem in zuckerfreien Kaugummis, Bonbons und Diabetikerprodukten beliebt gemacht haben.
Doch ein Forschungsteam aus den USA hat nun Daten veröffentlicht, die die gesundheitliche Unbedenklichkeit von Xylit infrage stellen – zumindest was das Risiko für Blutgerinnsel, Herzinfarkte und Schlaganfälle betrifft.
Neue Studie: Xylitol als Risiko für Herz und Kreislauf?
Worum geht es in der Untersuchung?
Die jetzt im European Heart Journal veröffentlichte Studie trägt den Titel:
„Xylitol is prothrombotic and associated with cardiovascular risk“ (zu Deutsch: „Xylitol ist gerinnungsfördernd und mit einem erhöhten Herz-Kreislauf-Risiko assoziiert“).
Die Studie analysierte Daten aus mehreren Teilen:
1. Kohortenstudie mit 1.157 Teilnehmenden:
Mittels sogenannter Metabolomik – also der Analyse von Stoffwechselprodukten im Blut – wurde festgestellt, dass hohe Xylitol-Werte mit einem signifikant höheren Risiko für schwerwiegende kardiovaskuläre Ereignisse (Major Adverse Cardiovascular Events, MACE) in den folgenden drei Jahren einhergingen.
2. Validierung in einer zweiten Kohorte mit 2.149 Personen:
Auch hier konnte der Zusammenhang zwischen erhöhtem Xylitol im Blut und erhöhtem Risiko für Herzinfarkt oder Schlaganfall bestätigt werden. Die statistische Kennzahl („Hazard Ratio“) lag bei 1,57, was einer etwa 57 % höheren Wahrscheinlichkeit für ein kardiovaskuläres Ereignis entspricht, wenn erhöhte Xylitol-Werte im Blut vorlagen.
3. Labor- und Tierexperimente:
Die Forscher fanden heraus, dass Xylitol die Aktivität von Blutplättchen (Thrombozyten) deutlich erhöhte – also der Zellen, die für die Blutgerinnung zuständig sind. Dies kann die Entstehung von Thrombosen begünstigen.
4. Kleine Interventionsstudie mit 10 gesunden Proband:innen:
Nach dem Konsum eines xylithaltigen Getränks stieg die Konzentration des Zuckerersatzes im Blut sprunghaft an. Gleichzeitig wurde eine deutliche Zunahme der Blutplättchenaktivierung festgestellt – ein möglicher Hinweis auf eine prothrombotische Wirkung auch beim Menschen.
Was bedeuten diese Ergebnisse?
Die Studienautoren weisen darauf hin, dass es sich um Beobachtungen handelt, keine Kausalitätsbeweise. Trotzdem sprechen die übereinstimmenden Ergebnisse der Kohorten- und Laborteile für einen biologisch plausiblen Mechanismus: Xylitol scheint Blutplättchen empfindlicher zu machen, was zur Bildung von Blutgerinnseln führen kann.
Das ist besonders relevant, weil viele Menschen – zum Beispiel in Diätphasen oder mit Diabetes – auf Xylit als „gesunde“ Zucker-Alternative setzen.
Wie gesund ist Xylitol wirklich? Eine Einordnung
Xylitol wurde bislang als weitgehend unbedenklich eingestuft. Es ist:
– zahnfreundlich: Hemmt das Wachstum von Kariesbakterien.
– kalorienreduziert: Enthält ca. 2,4 kcal/g gegenüber 4 kcal/g bei Haushaltszucker.
– für Diabetiker geeignet: Führt nur zu einem geringen Blutzucker- und Insulinanstieg.
Doch die neue Studie legt nahe, dass bei regelmäßig hohem Verzehr – etwa über Süßigkeiten, Backwaren, oder Nahrungsergänzungsmittel – unerwünschte Wirkungen auf die Blutgerinnung möglich sind.
Besonders problematisch: Die Xylitol-Konzentrationen im Blut, bei denen diese Effekte beobachtet wurden, sind laut der Studie durch handelsübliche Mengen leicht erreichbar – zum Beispiel durch ein xylithaltiges Getränk oder mehrere Kaugummis.
Wer sollte Xylit besser meiden?
Basierend auf den aktuellen Erkenntnissen ist besondere Vorsicht geboten für folgende Gruppen:
1. Menschen mit erhöhtem Thromboserisiko
Dazu zählen Personen mit:
– Vorerkrankungen wie Herzinfarkt, Schlaganfall oder Thrombosen
– Veranlagung zu Gerinnungsstörungen
– Längeren Immobilisationsphasen (z. B. nach Operationen oder bei Bettlägerigkeit)
2. Patient:innen mit kardiovaskulären Erkrankungen oder Risikofaktoren
Dazu zählen:
– Bluthochdruck
– Diabetes mellitus
– Fettstoffwechselstörungen
– Raucher:innen
– Personen mit starkem Übergewicht
3. Menschen, die regelmäßig große Mengen xylithaltiger Produkte konsumieren
Zum Beispiel:
– Zahnpflegeprodukte (Kaugummis, Lutschpastillen)
– „Zuckerfreie“ Backwaren und Süßigkeiten
– Nahrungsergänzungsmittel mit Xylit als Trägersubstanz
4. Schwangere (vorsorglich)
Obwohl es keine spezifischen Daten zu Schwangerschaft und Xylit gibt, gilt: Bei unklarer Datenlage ist Vorsicht angebracht, insbesondere wenn es um potenziell gerinnungsfördernde Stoffe geht.
Wie wirkt Xylit auf den Darm?
Ein weiterer Aspekt, der in der Diskussion um Zuckeralkohole häufig vergessen wird, betrifft den Einfluss auf die Darmgesundheit.
Xylit wird im Dünndarm nur teilweise aufgenommen – der Rest gelangt in den Dickdarm, wo er von Bakterien vergoren wird. Dies kann folgende Effekte haben:
– Blähungen, Bauchkrämpfe oder Durchfall bei empfindlichen Personen oder bei hoher Dosierung (ab ca. 30 g pro Tag)
– Veränderung der Darmflora: Studien deuten darauf hin, dass Xylit das Wachstum bestimmter Bakterienarten im Dickdarm fördern oder hemmen kann. Die genauen langfristigen Auswirkungen sind allerdings noch unzureichend erforscht.
– Prebiotische Effekte? Manche Untersuchungen legen nahe, dass Xylit in kleinen Mengen das Wachstum „guter“ Darmbakterien fördern könnte – dies ist aber stark von der individuellen Mikrobiota abhängig.
Fazit: Für gesunde Menschen ist Xylit in moderaten Mengen meist gut verträglich. Wer jedoch zu Reizdarm oder empfindlichem Verdauungstrakt neigt, sollte vorsichtig dosieren.
Fazit: Wie weiter mit Xylit?
Die neue Studie liefert ernstzunehmende Hinweise darauf, dass hohe Xylitol-Werte im Blut das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöhen könnten – insbesondere durch eine Steigerung der Blutplättchenaktivität, die zur Bildung gefährlicher Thrombosen führen kann.
Was bedeutet das für Verbraucher:innen?
– Gelegentlicher Konsum in kleinen Mengen (z. B. durch Kaugummi oder Zahnpflegebonbons) dürfte für gesunde Menschen weiterhin unbedenklich sein.
– Regelmäßiger oder übermäßiger Verzehr, etwa durch Süßwaren, Nahrungsergänzungsmittel oder Diätprodukte, sollte kritisch hinterfragt werden – insbesondere bei bestehendem Herz-Kreislauf-Risiko.
– Individuelle Risikofaktoren (wie Gerinnungsneigung, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schwangerschaft) sollten bei der Auswahl von Zuckerersatzstoffen berücksichtigt werden.
Was sagen die Forscher selbst?
Die Studienautoren betonen, dass es sich um erste Hinweise handelt und dass weitere Untersuchungen notwendig sind, um die tatsächliche Rolle von Xylit bei kardiovaskulären Erkrankungen zu klären.
Dennoch: Der mechanistische Zusammenhang – von erhöhten Xylitol-Werten über aktivierte Blutplättchen bis hin zu erhöhter Thrombosegefahr – ist biologisch plausibel und klinisch relevant.
Empfehlung für die Praxis
Bis abschließende Daten vorliegen, gilt:
– Xylit nicht als „automatisch gesunden Zuckerersatz“ ansehen
– Individuelles Risiko beachten
– Alternativen wie Erythrit oder Stevia in Erwägung ziehen, wenn ein Zuckerersatzstoff notwendig ist
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Quelle:
¹ Xylitol is prothrombotic and associated with cardiovascular risk. (Witkowski M et al. Eur Heart J. 2024 Jul 12;45(27):2439-2452.) doi: 10.1093/eurheartj/ehae244
² Schlaganfall: Die große Birkenzucker-Gefahr (Dr. med. Barbara Bellmann | doccheck.com)
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