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BC007 zeigt erstmals Wirkung gegen Long COVID: das Medikament neutralisiert Autoantikörper und verbessert die Lebensqualität bei Long-COVID-Patienten.
Mehr als drei Jahre nach Beginn der Pandemie sind Millionen Menschen weltweit noch immer mit den Folgen einer SARS-CoV-2-Infektion konfrontiert.
Long COVID, auch Post-COVID-Syndrom genannt, betrifft Schätzungen zufolge bis zu 10–20 Prozent aller Infizierten.
Für viele bedeutet das: anhaltende Erschöpfung, Atemnot, Konzentrationsschwäche und erhebliche Einschränkungen im Alltag.
Bislang standen vor allem symptomorientierte Maßnahmen im Vordergrund.
Nun sorgt eine neue klinische Studie für Aufsehen: Forschende des Universitätsklinikums Erlangen berichten von positiven Effekten des Wirkstoffs Rovunaptabin (BC007) auf Fatigue und Lebensqualität von Long-COVID-Patientinnen und -Patienten.
Was ist Long COVID?
Long COVID beschreibt gesundheitliche Beschwerden, die mehr als vier Wochen nach einer akuten SARS-CoV-2-Infektion anhalten oder neu auftreten. Typische Symptome sind:
Fatigue: Eine überwältigende geistige und körperliche Erschöpfung, die sich durch Schlaf nicht bessert.
Atemnot und Leistungsabfall: Viele Betroffene berichten, dass selbst kleine körperliche Anstrengungen kaum zu bewältigen sind.
Kognitive Einschränkungen („Brain Fog“): Konzentrationsstörungen, Gedächtnisprobleme und verlangsamtes Denken.
Psychische Beschwerden: Ängste, depressive Verstimmungen und Schlafstörungen.
Kardiovaskuläre Symptome: Herzrasen, Blutdruckschwankungen, Brustschmerzen.
Die Ursachen sind noch nicht vollständig geklärt. Diskutiert werden unter anderem: eine überschießende Immunantwort, das Vorhandensein von Autoantikörpern, Gefäßschädigungen sowie persistierende Virusbestandteile.
Wie lässt sich Long COVID diagnostizieren?
Es gibt bisher keinen einzelnen „Goldstandard-Test“, der Long COVID zuverlässig bestätigt. Stattdessen stützt sich die Diagnose auf eine Kombination aus klinischer Anamnese, körperlicher Untersuchung und ergänzenden Tests.
Zu den wichtigsten diagnostischen Verfahren zählen:
Bildgebung: CT oder MRT können bei anhaltender Atemnot oder neurologischen Beschwerden sinnvoll sein.
Funktionstests: Lungenfunktionsprüfung, Belastungstests (z. B. 6-Minuten-Gehtest), Herzuntersuchungen (Echokardiographie, EKG).
Neurokognitive Testungen: Erfassen Einschränkungen von Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Verarbeitungsgeschwindigkeit.
Welche Symptome sind am schwersten zu behandeln?
Die Vielfalt der Long-COVID-Symptome ist groß, und nicht alle sprechen gleich gut auf Therapieansätze an. Besonders hartnäckig und belastend sind:
- Fatigue: Sie gilt als das am schwierigsten zu behandelnde Symptom. Klassische Strategien wie Schlafhygiene oder Bewegung helfen nur begrenzt. Viele Betroffene müssen ihre Aktivitäten streng dosieren (Pacing), um Rückfälle zu vermeiden.
Kognitive Einschränkungen: Gedächtnis- und Konzentrationsprobleme beeinträchtigen Alltag und Beruf massiv. Rehabilitationsprogramme zeigen zwar Verbesserungen, doch ein Durchbruch fehlt bisher.
Psychische Belastungen: Ängste und Depressionen können sowohl Folge der Erkrankung selbst als auch der langanhaltenden Einschränkungen sein. Psychotherapie und medikamentöse Ansätze sind hilfreich, stoßen aber häufig an Grenzen, solange die körperlichen Ursachen nicht adressiert werden.
Atemnot, Herz-Kreislauf-Beschwerden und Muskelschwäche können teilweise durch gezielte Rehabilitation und Physiotherapie gelindert werden. Doch die Kombination aus Erschöpfung, kognitiven und psychischen Einschränkungen stellt die größte Herausforderung dar.
Die reCOVer-Studie: BC007 im Fokus
Studiendesign
Die Studie „reCOVer“ wurde ab Herbst 2023 am Universitätsklinikum Erlangen durchgeführt. Insgesamt nahmen 30 Patientinnen und Patienten mit Long COVID teil, die seit Monaten unter Fatigue litten und bestimmte Autoantikörper im Blut aufwiesen. Das Studiendesign war doppelblind, placebokontrolliert und randomisiert – der Goldstandard klinischer Forschung.
Die Teilnehmenden erhielten zunächst entweder BC007 oder ein Placebo. Nach einigen Wochen erfolgte ein Wechsel, sodass jede Person im Verlauf die aktive Substanz erhielt.
Wirkmechanismus von BC007
BC007 ist ein Oligonukleotid-Medikament, das in der Lage ist, funktionelle Autoantikörper gegen G-Protein-gekoppelte Rezeptoren (GPCR-fAAbs) zu neutralisieren.
Diese Autoantikörper stehen im Verdacht, Signalkaskaden fehlzusteuern, die unter anderem für Gefäßregulation und Zellkommunikation wichtig sind. Bei Long COVID könnten sie eine Schlüsselrolle für Fatigue und Gefäßfunktionsstörungen spielen.
Zentrale Ergebnisse
– Die Fatigue-Symptome besserten sich deutlich – nicht nur messbar, sondern auch für die Patientinnen und Patienten spürbar.
– Die Lebensqualität stieg signifikant an.
– BC007 wurde insgesamt gut vertragen, schwerwiegende Nebenwirkungen traten nicht auf.
Bedeutung der Ergebnisse
Die Resultate sind in mehrfacher Hinsicht bedeutsam:
2. Personalisierte Medizin: Nicht alle Long-COVID-Betroffenen weisen diese Autoantikörper auf. Die Studie unterstreicht die Notwendigkeit einer individuellen Diagnostik, um die passende Zielgruppe zu identifizieren.
3. Neue Forschungsrichtung: Die Ergebnisse stützen die Hypothese, dass Autoimmunmechanismen bei Long COVID eine entscheidende Rolle spielen. Dies könnte weitere Therapieansätze inspirieren.
Grenzen der Studie
So vielversprechend die Resultate sind, einige Einschränkungen sind zu beachten:
– Kurzfristige Beobachtung: Langzeitwirkungen von BC007 sind noch nicht ausreichend untersucht.
– Selektive Zielgruppe: Nur Patientinnen und Patienten mit nachweisbaren Autoantikörpern wurden eingeschlossen. Für andere Long-COVID-Gruppen bleibt die Wirksamkeit unklar.
Ein Hoffnungsschimmer – aber kein Wundermittel
Für Betroffene, die bislang ohne wirksame Therapie leben mussten, ist die Veröffentlichung ein bedeutender Schritt. Dennoch mahnen Fachleute zur Vorsicht: BC007 ist kein „Allheilmittel“ für alle Long-COVID-Erkrankten. Vielmehr könnte es für eine klar definierte Untergruppe eine wirksame Option darstellen.
Studienleiterin PD Dr. Dr. Bettina Hohberger betont: „Unsere Ergebnisse liefern erste Hinweise auf eine ursächliche Therapie für eine bestimmte Gruppe von Long-COVID-Patientinnen und -Patienten. Das macht Hoffnung – für Betroffene, deren Alltag bislang massiv eingeschränkt ist.“
Ausblick
Die Förderung durch das Bundesministerium für Forschung sowie die Deutsche Forschungsgemeinschaft zeigt, dass auch auf politischer Ebene die Bedeutung von Long COVID erkannt wird. Der nächste Schritt sind größere multizentrische Studien, um Wirksamkeit und Sicherheit von BC007 in einer breiteren Patientengruppe zu überprüfen.
Parallel dazu laufen weltweit weitere Forschungsprojekte zu Long COVID – etwa zu antiviralen Therapien, Immunmodulation oder Rehabilitation. BC007 könnte sich dabei als wichtiger Baustein im Behandlungsmosaik etablieren.
Fazit
Die reCOVer-Studie aus Erlangen markiert einen Meilenstein in der Long-COVID-Forschung. Erstmals zeigt sich, dass eine gezielte medikamentöse Neutralisierung von Autoantikörpern die Fatigue-Symptomatik deutlich lindern und die Lebensqualität verbessern kann. Auch wenn die Ergebnisse noch bestätigt werden müssen, entsteht damit ein neuer Hoffnungsschimmer für Millionen Betroffene.
Bis dahin bleibt Long COVID eine komplexe Herausforderung, die individuell angepasstes Management erfordert – von Diagnostik über Rehabilitation bis hin zu psychosozialer Unterstützung. Doch die Botschaft der Studie ist klar: Der Weg in Richtung ursächlicher Therapien hat begonnen.
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Quellen:
¹ Safety, tolerability and clinical effects of rovunaptabin, also known as BC007 on fatigue and quality of life in patients with Post-COVID syndrome (reCOVer): a prospective, exploratory, placebo-controlled, double-blind, randomised phase IIa clinical trial (RCT) [Hohberger, Bettina et al. eClinicalMedicine, Volume 86, 103358 The Lancet]
² S1-Leitlinie Long Covid/Post Covid
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