Kurz bevor die europäische Arzneimittelbehörde (EMA) entscheidet, ob sie den Corona-Impfstoff von Biontech und Pfizer für Jugendliche zwischen 12 und 15 Jahren zulässt, sind erste Impfstudien zu Teenagern abgeschlossen.
Alles deutet auf eine Zulassung, dennoch sollte gerade bei Kindern immer Nutzen und Risko abgewogen werden, zumal symptomatische Erkrankungen seltener sind, schwere verläufe und Long Covid andererseits nicht ausgeschlossen werden können.
SARS-CoV2 dürfte uns wohl noch länger begleiten. Um die Infektionen mit dem Virus dauerhaft niedrig zu halten, ist eine Immunität in einem großen Teil der Bevölkerung notwendig. Auch bei Kindern. Wie man mittlerweile weiß, sind auch sie Überträger der Erkrankung und können in seltenen Fällen selbst schwer erkranken. Es ist also klar, dass sie ebenfalls eine Impfung gegen COVID-19 benötigen.
Daran wird momentan intensiv gearbeitet. Aktuell ist ein Impfstoff für Jugendliche ab 16 zugelassen, die Zulassung in Europa für den ersten Impfstoff für 12 bis 15-jährige wird für 28.5.21 erwartet.
Covid-19: Kinder sind Teil des Infektionsgeschehens
Zu Beginn der Pandemie ist man davon ausgegangen, dass sich Kinder selten mit SARS-CoV2 infizieren und noch seltener erkranken. Spätestens seit Auftauchen der britischen Virusvariante weiß man aber, dass auch Kinder einen Anteil am Infektionsgeschehen haben. Wie hoch dieser ist, ist noch nicht ganz klar, da viele Studien in Zeit von Lockdowns mit Schulschließungen durchgeführt worden sind. Daten aus Österreich zeigen, dass der Anteil der Kinder unter 10 Jahren an den positiv getesteten Fällen bei ungefähr bei 4 % liegen dürfte, jener für 10 bis 19-Jährige bei 7 %.
Bisherige Studien weisen darauf hin, dass Kinder im Vergleich zu Erwachsenen weniger empfänglich für das Virus sind. Die Empfänglichkeit von Kindergartenkindern lag dabei unter jener von Kindern im Schulalter. Die Studienlage zur Viruslast bei Kindern ist derzeit nicht eindeutig, Daten aus größeren, qualitativ höheren Studien deuten derzeit darauf hin, dass zumindest jüngere Kinder eine niedrigere Viruslast als Erwachsene haben und damit vermutlich weniger infektiös sind.
„Dennoch wissen wir mittlerweile, dass Kinder durchaus in der Lage sind, das Virus zum Beispiel aus der Schule mit nach Hause zu bringen und dort andere Haushaltmitglieder anzustecken“, warnt Dr. Albrecht Prieler, Kinderarzt und Mitglied des nationalen Impfgremiums.
Oft milder COVID-19 Krankheitsverlauf bei Kindern
Kinder scheinen nach aktuellem Wissensstand auch seltener symptomatisch zu sein als Erwachsene. Oft sind sie überhaupt asymptomatisch oder haben nur wenige Symptome. „Wenn Kinder symptomatisch sind, haben sie meistens Husten und/oder Fieber, auch Magen-Darm-Symptome kann es geben. Diese treten bei Kindern häufiger auf als bei Erwachsenen“, so Prieler. Schwere Verläufe im Kindes- und Jugendalter gibt es selten (1/1000-1/5000) und öfter im Zusammenhang mit schweren Vorerkrankungen.
„Es mussten aber trotzdem auch Kinder nach einer SARS-CoV2-Infektion auf der Intensivstation behandeln werden“, berichtet der Kinderarzt. Das „Paediatric Inflammatory Multisystem Syndrome“, kurz PIMS, führt in sehr seltenen Fällen zu tagelangem hohem Fieber mit Bauchschmerzen, Erbrechen, Durchfall und Ausschlag.
In besonders schweren Fällen kann es zu Schockzuständen kommen, die eine intensivmedizinische Behandlung notwendig machen.
Zudem mehren sich Hinweise, dass auch Kinder und Jugendliche nach milden asymptomatischen Verläufen langfristig unter den Folgen einer COVID-19-Erkrankung („long COVID“) leiden können.
Kinder-Impfung sinnvoll
„Auch wenn es nach den bisherigen Daten so aussieht, als ob COVID-19 bei Kindern meist milder verläuft, bleibt ein Restrisiko für einen schweren Verlauf. Die Infektiosität ist zwar vermutlich geringer als bei Erwachsenen, dennoch darf man sie nicht unterschätzen“, betont Impfexperte Prieler.
„Es ist daher wichtig, dass wir so bald wie möglich auch die Kinder und damit weitere Teile der Gesellschaft durch eine COVID-19-Impfung schützen. Ohne die Kinder zu impfen, wird es auch nie möglich sein, eine Herdenimmunität zu erreichen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein geimpfter Jugendlicher andere im Freundes- oder Familienkreis ansteckt, ist deutlich vermindert. Dadurch entsteht auch ein Schutz der (noch) Ungeimpften und der Non-Responder.“
Kinder-Studien laufen oder geplant
Die Hersteller, die bereits zugelassene COVID-19-Impfstoffe haben, sind nun dabei, das Alter der Studienteilnehmer in den COVID-19-Studien sukzessive zu senken. Biontech/Pfizer haben bereits eine Zulassung für 12-15-Jährige bei der Europäischen Zulassungsbehörde EMA beantragt, schon jetzt darf ab 16 Jahren mit ihrem Impfstoff geimpft werden. Auch Moderna hat bereits eine Studie mit Teenagern zwischen 12 und 17 Jahren abgeschlossen, erste Ergebnisse zeigen eine sehr gute Wirksamkeit. Die europäische Zulassung für diese Gruppe wird voraussichtlich im Juni beantragt.
Eine Phase-III Studie mit Kindern zwischen 6 Monaten und 12 Jahren hat Moderna bereits gestartet, eine andere mit Kindern ähnlichen Alters läuft mit Biontech/Pfizer.
AstraZeneca und die Universität Oxford haben ebenfalls eine Studie bei Kindern und Jugendlichen initiiert. Die Studienteilnehmer müssen darin zwischen 6 und 17 Jahre alt sein. Im Planungsstadium ist Johnson & Johnson mit einer Studie bei Jugendlichen zwischen 12 und 17.
Von den Herstellern, die derzeit noch keine COVID-19-Impfstoffe am Markt haben und noch in der Studienphase sind, ist zu erwarten, dass mittel- und langfristig noch der eine oder andere Impfstoff für
Kinder und Jugendliche dazu kommt.
Kinderarzt und Impfexperte Prieler: „Wichtig ist, dass wir, wenn entsprechende Daten für Sicherheit und Wirksamkeit vorliegen, rasch auch Jugendliche und Kinder impfen können. Günstig wäre noch vor Schulbeginn im Herbst, denn geimpfte Jugendliche und Kinder können nach einem K1-Kontakt weiter die Schule besuchen. Nur so werden wir diese Pandemie endgültig in den Griff bekommen.“
Kritische Anmerkungen von Public Health Experten
Nicht alle Mediziner teilen die uneingeschränkte Empfehlung zu Impfung von Kindern und Jugendlichen.
Der Grazer Allgemeinmediziners und Gesundheitswissenschaftler und Public Health Experte Dr. Martin Sprenger meint etwa: „Die Zulassungsstudien für 12 bis 15-Jährige beruhen auf sehr geringen Fallzahlen von zirka 1.000 Personen. Damit können seltene oder extrem seltene Nebenwirkungen keinesfalls ausgeschlossen werden. Sollte es in den nächsten Monaten in einer viel größeren Fallzahl von geimpften Kindern und Jugendlichen zu einzelnen (extrem seltenen) schweren unerwünschten Ereignissen kommen, dann gefährdet das auch die Akzeptanz von anderen, etablierten und mit guter Evidenz hinterlegten Impfungen.“
Zur Risikobewertung meint er: „Damit eine Impfung erwiesenermaßen mehr nutzt als schadet, muss somit im Gegenzug auch das Risiko von Nebenwirkungen extrem gering, ja eigentlich Null sein.“
Zum Argument, dass sich Kinder und Jugendliche nicht zum Selbstschutz sondern zum Fremdschutz, zur Steigerung der Herdenimmunität impfen sollten, verweist Spenger ebenfalls auf ethische Prinzipien, wonach dass gewährleistet sein muss, dass der Nutzen des Impfstoffs die Risiken überwiegt.
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[Stand: 27.5.21]
Quellen:
– BMSGPK und ÖGKJ, Empfehlungen für die Gesundheitsbehörden im Umgang mit SARS-CoV-2-Infektionen im Kindes- und Jugendalter Stand: 07. Mai 2021
– SARS-CoV-2 und COVID-19: Risikogruppen Kinder und Jugendliche (Robert Koch Institut)/a>
– FB-Seite Public Health Graz – Dr. Martin Spenger
Linktipps:
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